Wer Liebe verspricht
beiden Worte gaben im Haus den Ton an. Und im Augenblick war es das oberste Gebot, einen Skandal zu vermeiden, der Lady Bridget ins Grab bringen würde, auch wenn sie die ungeheuerliche Flucht ihrer Tochter überleben sollte. Es gelang Olivia zwar nicht gerade mühelos, aber doch ohne größere Anstrengung und Unbehagen, die lauernden Fragen und die anzüglichen Bemerkungen der täglichen Besucherinnen klug und wenn nötig ausweichend zu beantworten, ohne sich von den täuschend unschuldigen Blicken und der scheinheiligen Besorgtheit beeindrucken zu lassen. Dr.Humphries gehörte jedoch zu einer anderen Art Besucher. Auch Arthur Ransome schloß sich Olivias Meinung an, man müsse ihn wenigstens teilweise ins Vertrauen ziehen.
Es gibt wenig im Leben, was einen Hausarzt schockieren kann, noch dazu, wenn er so erfahren und beschlagen ist, wie Dr.Humphries es war. Nachdem Olivia ihm die Geschichte erzählt hatte, brummte er nur und schwieg eine Weile. Dann hob er die buschigen roten Augenbrauen und kratzte sich mit dem Fingernagel die dicke Nase. »Das steckt also dahinter … Nun ja, jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, ich hatte so einen gewissen Verdacht. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Bridget so extrem reagiert, nur weil eine alte Freundin gestorben ist.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Und Sie wissen nicht, wer der Mann sein könnte?«
»Nein, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Estelle scheint niemanden ins Vertrauen gezogen zu haben – mich jedenfalls nicht. Sie wußte, ich hätte versucht, sie an der Flucht zu hindern. Die beiden haben sich offensichtlich die ganze Sache in aller Heimlichkeit ausgedacht, um den Erfolg nicht zu gefährden.«
Der Arzt glaubte Olivia aufs Wort und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Die dumme, dumme Gans! Sie wird es natürlich bedauern. Das tun sie alle. Aber oft kommt die Zeit der Reue zu spät, und dann ist schon etwas unterwegs – entschuldigen Sie meine Offenheit –, und in neun von zehn Fällen ohne den Segen der Kirche.« Er seufzte und holte tief Luft. »Wie hat Josh es aufgenommen? Was sie ihrer armen Mutter damit angetan hat, sehe ich.«
»Sehr schlecht. Er trinkt pausenlos. Noch etwas, Dr.Humphries …« Olivia errötete leicht. »Wie Sie sehen, verlangt die Situation von unserer Seite allergrößte Diskretion. Besonders um Tante Bridget zu helfen, muß ein Skandal um jeden Preis vermieden werden. Selbst ein Gerücht würde im Augenblick die Katastrophe für sie nur noch vergrößern.«
Er lächelte und verstand sie sofort. »Mein liebes Kind, die Ärzte verstehen heutzutage vielleicht nicht viel von Medizin«, erklärte er trocken. »Aber kein Arzt, den ich kenne, wäre so dumm, in einem solchen Fall seine Frau ins Vertrauen zu ziehen. Ich weiß natürlich nicht, wie lange es Ihnen gelingen wird, die Sache geheimzuhalten. Wenn man in Indien in Peschawar niest, dann hören es alle bis Kap Comorin.« Er lachte und fügte mit blitzenden Augen hinzu: »Wenn Millie davon erfährt, dann weiß sie es jedenfalls nicht von mir.«
Er lehnte es rundweg ab zu erklären, Lady Bridget leide an einem seltenen, unbekannten tropischen und möglicherweise ansteckenden Fieber, aber er war bereit, das Gerücht nicht zurückzuweisen, wenn jemand ihn darauf ansprechen sollte. Und er versprach zu bestätigen, daß Lady Bridget im Augenblick keine Besucher empfangen dürfe. Gut, dachte Olivia nicht ohne Neid, damit wäre Lady Bridgets Rückzug aus der Welt geklärt. Sir Joshuas Zurückgezogenheit ließ sich leichter begründen. Die geschäftlichen Probleme in letzter Zeit hatten seiner Gesundheit schwer zugesetzt, und nun kam die Krankheit seiner Frau als Belastung noch dazu. Außerdem schien es nur natürlich, daß er insgeheim um seine geliebte Tochter trauerte, die er bis jetzt nie von seiner Seite gelassen hatte. Kein Wunder also, daß er Trost im Alkohol suchte. In seiner Lage hätte das jeder Mann getan.
Olivia fand keine Zeit, über ihre Lage nachzudenken – beziehungsweise, sie sorgte dafür, daß sie keine Zeit fand. Bei der Erfüllung der lästigen täglichen Pflichten lud sie sich soviel Arbeit wie möglich auf. Sie unterhielt sich mit den Besucherinnen, parierte Fragen, erfand immer neue glaubhafte Geschichten und Entschuldigungen. Sie lächelte, bis ihr die Kiefer schmerzten, und beobachtete sich bei all dem mit großem Staunen. Sie hätte es satt haben müssen, die große Stütze zu sein, selbstlos, beherzt und geschickt die schwierige Lage zu
Weitere Kostenlose Bücher