Wer Liebe verspricht
drängten sich viele um die Bar und machten kein Geheimnis daraus, daß sie hofften, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Koketterie empörte Olivia. Sie machte eine verächtliche, wegwerfende Handbewegung. »Ach, die meine ich nicht! Sie zählen nicht. Ich denke an die Männer.«
»Ich nehme die Männer nicht aus. Persönlicher Groll ist schön und gut, mein Kind, aber Geschäft ist Geschäft – vergiß das nicht. Es gibt keinen Mann hier, der nicht mehr oder weniger direkt Geschäfte mit Raventhornes Trident macht. Kala Kanta kann vielen die Kassen füllen, wenn er will. Gut, die Versuchung mag groß sein, aber ich wage zu behaupten, daß ihn niemand auf deinen kostbaren Perserteppichen ermorden wird.« Er lachte zwar, aber seine Sorgen wichen nicht.
Olivia mußte sich wieder unter ihre Gäste mischen. Sie ging bewußt auf die Gruppe zu, die am weitesten von ihm und der Bar entfernt stand. Aber jeder Schritt war ein Gang über Glassplitter. Selbst mit dem Rücken zu Raventhorne spürte sie seine Augen – Amos’ Augen. Sie folgten ihr wie eine Schleppe am Kleid. Es kam Olivia vor, als werde sie von seinem Blick und den Blicken Estelles (die sie wachsam aus sicherer Entfernung beobachtete) durchbohrt und aufgespießt. Ihr Körper schmerzte und glühte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Schnell trank sie noch zwei Gläser Sherry.
Sie begann zu schweben. Wieder einmal schien alles unwirklich zu sein. Sie fühlte sich in einem Traum gefangen. Geschah dies alles wirklich, oder war es eine Illusion, eine Fata Morgana, ein Alptraum? Sie befand sich tatsächlich wieder mit Jai Raventhorne unter einem Dach, im selben Raum. Sie mußte nur den Kopf drehen und konnte ihn mit den Augen berühren. Wenn sie durch den Saal ging, konnte sie seine Hand ergreifen. Früher einmal hätte sie ihre Seele darum gegeben, beides zu können. Jetzt tat sie nichts dergleichen. Sie ließ sich noch ein Glas Sherry reichen, leerte das Glas und gab das Zeichen, mit dem Essen zu beginnen.
Innerlich lachte sie. Und sie hatte geglaubt, Estelle sei nicht in der Lage, ein Geheimnis zu hüten!
Olivia brachte ihre Gedanken wieder unter Kontrolle und lenkte sie entschlossen auf Nebensächlichkeiten. Hatte man den Senf nicht vergessen? Welkten die Blumen, weil das Feuer zuviel Hitze verbreitete? Sollte sie das Dessert zweimal anbieten? War der französische Käse zu reif, der englische Stilton nicht reif genug? Der silberne Essensgong ertönte durch die Gänge und Räume. Das Orchester spielte die letzten Takte, und alle Gäste strömten paarweise in den Speisesaal, der im Glanz der Lüster, des Silbers und der blütenweißen Tischdecken erstrahlte. Olivia hatte ein erlesenes Menü zusammengestellt: Wildsuppe, Geflügelcurry in Kokosnußmilch, Reis mit Morcheln, Schafsfüße mit Zuckererbsen, Fleischpastete, Schinken, Roastbeef, eingelegtes Wildbret, gebratene Ente, verschiedenste Aufläufe und Kompotte und Berge köstlich gedünsteter Gemüse, Zitronenspeise, amerikanische Schokoladentorte mit Schlagsahne und gerösteten Nüssen und zum krönenden Abschluß natürlich das Soufflé Gallentine. Keiner sparte mit Komplimenten, und alle tranken und aßen mit größtem Genuß – alle mit Ausnahme von Estelle und Jai Raventhorne.
Sie saßen in einer Ecke und unterhielten sich unbekümmert. Estelles Wangen glühten, und ihre Augen glänzten. Raventhorne wandte den Blick nicht von Estelle und hielt ein Cognacglas in beiden Händen. Aber Olivia ließ sich nicht täuschen. Ihre Gänsehaut bewies ihr allzu deutlich, daß er sie nach wie vor mit seinem inneren Blick nicht losließ und sie mit den Pupillen durchbohrte, die sahen, ohne sie anzusehen.
Ich muß dich nicht ansehen …
Ich darf nicht weichwerden. Ich darf nicht weichwerden!
O nein, diesen Gipfel der Unverschämtheit würde sie Estelle nie verzeihen – nie!
»Was für ein Abend der Superlative, Olivia!« Betty Pennworthy saß vor einem riesigen Teller, beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme. »Und, meine Liebe, das ist wirklich ein Coup, unseren einsiedlerischen Nachbarn zum Kommen zu bewegen! Und wenn man bedenkt, daß Josh …«
»Betty!« Ihr Mann rief sie mit gerunzelter Stirn zur Ordnung. »Es steht uns nicht zu, Kommentare zu Dingen abzugeben, die uns nichts angehen.« Um seine Mahnung zu unterstreichen, hielt er schweigend einem Diener den leeren Teller hin und ließ sich nachfüllen.
»Redet er denn nur mit Estelle!?« beklagte sich Susan
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