Wer Liebe verspricht
hatte seine Lügen, seine Ausreden und Entschuldigungen satt. Alles, was in diesem nicht zugestellten Brief hätte stehen können, wäre zu wenig gewesen und zu spät gekommen. Außerdem glaubte sie ihm nicht, daß es diesen Brief überhaupt gab.
» Ich? Ich, die so ergeben deinen Wahnsinn und deine Besessenheit gerechtfertigt und die dunklen Zonen zu heiligen Gebieten erhoben hat, in die ich einmal Licht bringen wollte? Oh, du tust mir wirklich unrecht!« Sie verbarg ihren Abscheu hinter einem zweiten Lachen.
An seinen Schläfen klopfte heftig das Blut. »Du hast auch einmal versprochen, mir zu vertrauen, Olivia!«
Ihr fehlten die Worte. Selbst bei seiner Überheblichkeit konnte das nicht sein Ernst sein! Seine Worte schienen in der Luft zu hängen wie eine Melodie, die sich aus dem Saal zu ihnen auf die Veranda geschlichen hatte. Dann schlugen sie heftig in ihr Bewußtsein ein, und sie erwachte wieder zum Leben. Sie überlegte zornig, ob er wohl mit ihr spielte, sie bewußt quälen wollte. Ja, sie hatte einmal versprochen, ihm zu vertrauen. Und das hatte sie auch getan! Sie hatte ihm völlig und rückhaltlos vertraut. Wußte er das nicht mehr? Hatte er eine Vorstellung, welchen Lohn sie für ihr unangebrachtes Vertrauen bekommen hätte, was aus ihr inzwischen geworden wäre? Sie hätte ihm diese Frage beinahe gestellt, zwang sich jedoch, es nicht zu tun. Offenbar konnte er sich das nicht vorstellen, und dafür mußte sie ewig dankbar sein. Denn wenn er darauf eine Antwort gehabt hätte, hätte er auch von Amos gewußt – und das darf nie geschehen ! In ihrer Panik suchte Olivia Zuflucht bei gespielter Leichtfertigkeit. »Habe ich das? Ich kann mich nicht erinnern. Nun ja, verstoßene Geliebte sind bekanntermaßen wankelmütig.«
»Das weiß ich inzwischen auch!« Seine Stimme klang gepreßt vor unterdrücktem Zorn. »Wie sonst hättest du diesen adligen Trottel mit so bewundernswerter Schnelligkeit einfangen und sofort Mutterglück zur Schau tragen können?«
Ihr Herzschlag wurde schneller. »Vielleicht ist ein adliger Trottel besser als ein sittenloser Verführer aus der Gosse!« erwiderte sie, obwohl ihr die Kehle trocken wurde. »Du wirst mir doch zustimmen, ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach.« Mit süßem Lächeln fügte sie hinzu: »Und du hast mir Freddie selbst einmal sehr ans Herz gelegt, erinnerst du dich?«
»Und jetzt ist der Spatz davongeflogen«, höhnte er. Die Risse in seiner Maske wurden größer, »bestimmt hast du dir bereits Ersatz in dein leeres Bett geholt?«
»Warum nicht?« Sie bahnte sich ihren Weg und stieß das Messer noch etwas tiefer. »Einmal eine Hure, immer eine Hure, so heißt es doch!« Es war schon amüsant, daß sowohl ihr Mann als auch der Vater ihres Kindes sie mit diesem Wort beschimpft hatten! Aber diese Frechheiten prallten inzwischen an ihr ab. Olivia hatte sich darüber erhoben. Sie versuchte nur noch verzweifelt, ihn von Amos abzulenken. Sollte er sie nur beschimpfen.
Im Halbdunkel der Veranda glühten seine Augen, aber noch ehe er etwas sagen konnte, kamen ein paar Gäste lachend und plaudernd auf die Veranda. Sie blieben in Hörweite stehen und unterhielten sich laut, dann gingen sie in den Garten hinunter. Dieser kurze Augenblick genügte Raventhorne, um seine Kontrolle wiederzufinden. »Die Etikette in deinen gehobenen Kreisen verlangt«, sagte er mit eisiger Förmlichkeit, »daß man wenigstens einmal mit der Gastgeberin tanzt, ehe man sich verabschiedet.« Sein Gesicht war wieder undurchdringlich. Er streckte die Hand aus.
Olivia wich überrascht zurück. Tanzen? Mit Jai Raventhorne? O nein, nein! »Es tut mir leid. Ich habe diesen Tanz bereits einem anderen versprochen …«
»Wer es auch sein mag, er wird mir den Vortritt lassen.«
»Aber ich will nicht …«, begann sie wütend, doch er schob sie mühelos am Ellbogen in den Saal. Er kümmerte sich nicht um ihren Einspruch, führte sie energisch, aber nicht grob zur Tanzfläche, und ihr blieb keine andere Wahl, als nachzugeben. Es wäre undenkbar gewesen, sich inmitten der vielen Menschen zu wehren. Und so wurde ihr gemeinsames Erscheinen mit unverhüllt neugierigen Blicken begrüßt. Ein Druck um die Taille verriet Olivia, daß sein Arm sich um sie gelegt hatte. Ihre Finger berührten sich, sein Atem streifte ihr Ohr so nahe, daß sie glaubte, es nicht ertragen zu können, und dann führte er sie zu einem beschwingten Walzer über das glänzende Parkett. Trotz aller
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