Wer Liebe verspricht
strahlte über seine Rolle als Gastgeber wie ein Kind auf der Geburtstagsfeier und blickte auf seine Uhr. »Nein, das soll nicht geschehen. Wir dürfen ihnen nicht das Gefühl geben, daß wir knausern. Vielleicht warten wir noch eine halbe Stunde …«
»Gut. Ich hoffe nur, daß die Soufflés nicht zusammenfallen. Rashid Ali würde mir das nie verzeihen. Ich werde noch mehr Appetithäppchen anbieten lassen. Die Garnelen sind besonders beliebt. Wir könnten aber auch …«
Olivia verstummte, denn Ransome hörte ihr nicht mehr zu. Sein Blick richtete sich auf etwas in ihrem Rücken. Langsam drehte sie den Kopf. Ein neuer Gast war an der Tür des Saales angekündigt worden, und Estelle begrüßte ihn herzlich.
Es war Jai Raventhorne.
Er lächelte. Er nahm Estelles Hand, beugte sich darüber und küßte sie leicht. John Sturges erschien neben seiner Frau. Die beiden Männer schüttelten sich lächelnd die Hände. Im Saal herrschte plötzlich Totenstille. Alle starrten mit großen Augen auf das Schauspiel an der Tür. In dem gespenstischen Schweigen fiel knisternd ein Holzscheit vom Rost. Niemand rührte sich. Dann führte Estelle mit strahlendem Lächeln Raventhorne entschlossen und zielsicher durch die erstarrte Menschenmenge zu den Gastgebern des Abends am anderen Ende des Raumes.
»Liebe Olivia, darf ich dir Jai Raventhorne vorstellen? Ich glaube, ihr seid euch schon einmal begegnet. Jai, du erinnerst dich sicher an meine Cousine, Lady Birkhurst.« Ihre Stimme zitterte nicht einmal, und die blauen Augen wirkten keine Spur unsicher.
Olivia war sich nicht bewußt, daß sie die Hand ausgestreckt hatte, aber dann hielt er sie in seiner Hand. Sie fühlte sich kalt an, und die Lippen, die über ihre Haut streiften, noch kälter. Sagte er etwas? Sie wußte es nicht. Aber dann hörte sie ihn: »O ja! Wir sind uns einmal begegnet. Vielleicht erinnert sich Lady Birkhurst nicht mehr daran. Es ist sehr freundlich von Ihnen, mir heute abend Ihre Gastfreundschaft zu gewähren!«
Sie gingen weiter. Er schüttelte Arthur Ransome die Hand, sie redeten kurz miteinander, und ein kurzes Lachen durchbrach die Stille. Ransome fragte mit blassem Gesicht: »Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten, Jai? Wenn ich mich recht erinnere, zwei Finger breit Scotch mit Eis. Stimmt das?« Und irgendwo in den endlosen Weiten von Olivias Bewußtsein hörte sie das Echo seiner Worte.
»Danke, das wäre genau das Richtige.«
Im Augenblick waren keine Formalitäten mehr notwendig. Nur wenige der anwesenden Gäste kannten Raventhorne nicht. Mit einer ans Wunderbare grenzenden Selbstverständlichkeit führte Ransome den Gast zur Bar und unterhielt sich liebenswürdig mit ihm. Olivia hörte, wie eine Frau hinter ihr heftig Luft holte und zischte: »Bei meiner Großmutter, Gott hab sie selig, das ist doch nicht möglich, das kann nicht sein …!«
Das Schweigen hing noch einige Augenblicke im Raum. Dann setzte wie eine zurücklaufende Flutwelle das Gemurmel wieder ein und nahm an Lautstärke zu. Unter dem Stimmengewirr lag jetzt jedoch eine unterdrückte, atemlose Spannung, das unbestimmte Gefühl eines bevorstehenden Dramas. Was wollte der berüchtigte Kala Kanta in einem englischen Salon und noch dazu auf Einladung von Joshua Templewoods Tochter? Inmitten des erstaunten Geflüsters und verstohlener Blicke über den Rand der Gläser hinweg schossen Vermutungen und Fragen wie Feuerwerksraketen durch den Raum. Aber allmählich kehrte wieder Normalität ein. Diener eilten durch die Menge mit vollen Gläsern und Kanapees. Das unterdrückte Lachen entlud sich in befreitem Gelächter. Ein Trommelwirbel kündigte den nächsten Walzer an. Die Militärkapelle vertrieb schnell den letzten Rest Spannung.
Nur Olivia rührte sich nicht von der Stelle. Ein traumähnlicher Nebel lag wie ein zarter, aber fester Schleier über der Gegenwart und löschte sie aus.
Aber ja, erhob sich eine Stimme aus einem verschlossenen Grab und hallte geisterhaft durch ihren Kopf, ich liebe dich …
Sie drehte sich um und floh nach oben.
Estelle ist verrückt geworden. Estelle ist verrückt geworden …
Olivia warf sich zitternd auf ihr Bett und konnte keine andere Erklärung für die Katastrophe finden, die sie alle ereilt hatte. Wie ein Falter flattert, um seinem Kokon zu entfliehen, rannte ihr Verstand in Panik gegen die Wände ihres Kopfes an. Wieder einmal hatte Estelle sie ohne ihr Zutun in eine üble Lage gebracht. Aber diesmal versagte Olivias Talent, einen Fluchtweg
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