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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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ein sehr guter Grund liegen mußte – vorausgesetzt natürlich, die Gerüchte beruhten auf Wahrheit.
    Aber was für ein Grund war das?
    Olivia fand schließlich die Antwort durch die erwartete Quelle: Estelle. Sie wäre nie darauf gekommen, wenn ihre Cousine ihr nicht unwissentlich dabei geholfen hätte.
    *
    Der Tag vor Estelles Rückreise nach Cawnpore war gekommen.
    John hatte seiner Frau großzügig erlaubt, länger in Kalkutta zu bleiben als zunächst beabsichtigt. Aber der vernünftige John hoffte, die Zeit, die die Frauen miteinander verbrachten, werde sich für beide als heilsam erweisen. Nachdem John in England Raventhorne kennengelernt und sich ausführlich mit ihm unterhalten hatte, wußte er inzwischen sehr viel mehr als zuvor. Estelle hatte ihm von Olivias unglücklichen Umständen berichtet. Die Cousinen mußten viele Mißverständnisse ausräumen und Streitigkeiten beilegen. Estelle mußte dem aufgestauten Kummer, dem unterdrückten Zorn und den vielen Schuldgefühlen Luft machen. In einem herzlichen Brief an Olivia erklärte John taktvoll, er hoffe nur, daß die Gesellschaft seiner Frau nicht zu anstrengend für sie sei und sich für beide als wohltuend erweise.
    Ja, sagte sich Olivia, das Zwischenspiel mit Estelle war für sie beide eine Wohltat gewesen. Sie hatten immerhin einige der Spannungen abgebaut, fröhliche und unbeschwerte Stunden erlebt, und Olivia war aufrichtig froh darüber, daß Estelle in dem spontanen Ausbruch den Finger auf die Wunde gelegt hatte, die ihr die größten Schmerzen bereitete. Natürlich war Olivia enttäuscht, daß Estelles zwanghaftes Reden über Raventhorne ihr wenig gebracht hatte, aber alles half, und sei es auch noch so wenig. Estelles Geständnisse waren zwar nicht dramatisch enthüllend gewesen, aber sie vergrößerten Olivias Einblicke in die Winkel und Ecken des Mannes, schenkten ihr kleine Einsichten, die sich eines Tages als nützlich erweisen mochten. Jai hatte zum Beispiel mit Estelle über Sujata gesprochen – vielleicht hatte ihre Cousine ihn geradewegs danach gefragt. Olivia bewahrte diesen Hinweis sorgfältig in ihrer Sammlung auf. Verstoßene und enttäuschte Geliebte waren eine nützliche Waffe!
    An Estelles letztem Abend in Kalkutta machten die beiden Cousinen, wie sie es sich angewöhnt hatten, nach dem Abendessen einen Spaziergang am Flußufer. Der Januarabend war belebend und erfrischend kühl. Er brachte eine angenehme Abwechslung nach den feuchtwarmen Tagen mit der erbarmungslosen brennenden Sonne. Über dem Fluß hingen geisterhafte Nebelschwaden, die sie einhüllten, während sie wie in einem kühlen, dunklen Zelt dahinschlenderten, unter dessen Dach die Sterne funkelten.
    »Ich habe Jai heute morgen besucht.« Nach Raventhornes Rückkehr aus Assam war das unvermeidlich. Trotzdem erschrak Olivia leicht. Sie nahm die Mitteilung schweigend auf. »Er ist immer noch böse auf mich«, fuhr Estelle seufzend fort. »Er hat mir den Abend noch nicht vergeben. Wir haben uns wieder einmal heftig gestritten. Er blieb unerträglich gleichgültig, als ich ihm das mit Papa gesagt habe.« Selbst in der Dunkelheit sah Olivia, daß Estelles Lippen zitterten.
    Die eigene innere Unruhe bewog Olivia zu fragen: »Hat er zufällig von Amos gesprochen?«
    Estelle sah sie überrascht an. »Nein, warum sollte er?«
    »Und du?«
    Sie bedauerte die Frage sofort, aber es ließ sich nicht mehr ändern.
    »Nein, natürlich nicht!« erwiderte Estelle zutiefst verletzt. »Kannst du nicht wenigstens soviel Vertrauen aufbringen und mein Versprechen für bare Münze nehmen?« Olivia legte ihr bedauernd die Hand auf den Arm, aber Estelle wich zurück. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie satt ich all diese dummen Empfindlichkeiten und bissigen Bemerkungen habe! Mein Vater, die Hauptursache von allem, ist tot, tot, tot ! Können wir denn jetzt nicht darangehen, den Schaden wiedergutzumachen, anstatt ihn zu verewigen?«
    »Onkel Joshuas Tod, den ich sehr betrauere, hat nichts mit meinen ›Empfindlichkeiten‹ zu tun, wie du es nennst«, erklärte Olivia kühl.
    »Ja, ich weiß.« Niedergeschlagen setzte sich Estelle auf einen großen Stein und starrte auf den Fluß. »Aber all das liegt hinter dir, Olivia. Wenn du …, ich meine, wenn wir uns darum bemühen würden zu vergessen, wäre dann unser Leben nicht einfacher?«
    »Du glaubst, durch Vergessen würde sich das Leben sofort wieder in eine kleine Idylle der Zufriedenheit verwandeln?«
    »Das wäre möglich, wenn wir es

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