Wer Liebe verspricht
schon immer angeboten, nur hatte sie diese Möglichkeit nicht wahrgenommen.
Olivia hob den Kopf und stellte fest, daß er sie mit seinem Blick umfangen hielt. Jai beobachtete, er wartete, aber er hatte ihre Gedanken bereits erfaßt. Olivia vergaß alles und betrat noch einmal die Traumlandschaft, in der sie körperlos dahintrieb. »Wann wirst du fahren?« fragte sie, oder eine andere mit ihrer Stimme.
»Bald.«
»Wohin willst du?«
»Irgendwohin. Es ist nicht weiter wichtig.«
»Wirst du fliehen, dich verstecken und vergessen können, daß dein Sohn keinen Vater hat – wie du?«
»Mir bleibt wohl kaum eine andere Wahl!«
Die Unwirklichkeit verstärkte sich. Im Traum befangen lächelte Olivia. »Ich gebe dir eine andere Möglichkeit.«
Die Stille war plötzlich gespenstisch. Sogar der Fluß schien nicht mehr zu fließen. In dem erstarrten Bild bewegte sich etwas, begann zu zucken und dann heftig zu pulsieren – ein Hoffnungsstrahl kämpfte sich ans Licht. Jai sprach es aus. »Du würdest mit mir kommen?«
»Ja.«
»Warum?« In seine Hoffnung mischte sich Verzweiflung.
»Warum?« Olivia ordnete bedächtig die Falten ihres Kleides. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist mein Leben noch nicht kompliziert genug. Oder ich möchte, daß Amos hört, wie sein Vater ihn ›Sohn‹ nennt. Oder …?« Sie schwieg und brachte die Worte nicht über die Lippen.
»Oder?«
Ihr Mund wurde hart, die Lippen schmerzten, als sie den so lange nicht benutzten und rostig wirkenden Satz aussprach: »Oder, weil ich dich liebe.«
Er staunte ungläubig. »Nach all dem, nach all dem kannst du das noch sagen?«
»Ja, ich kann es noch sagen.«
Von Schauern geschüttelt, wandte er sich ab. »Es ist noch immer eine verschwendete Liebe, Olivia. Ich verdiene sie jetzt noch weniger als damals.« Die Hoffnung kämpfte und war zu schwach. Er schloß die Augen.
»Wie damals kann ich sie auch jetzt verschwenden …«
»Nein!« rief er heftig und wies das Geschenk zurück. »Es wäre eine sinnlose, kindische Tollkühnheit. Ich kann es nicht zulassen!«
Er entglitt ihr. Von Panik erfaßt, kehrte Olivia in die Wirklichkeit zurück. »Es hat nichts mit Tollkühnheit zu tun! Ich bin nicht so edel wie deine Mutter, die ihre Liebe verschwendete in dem Bewußtsein, daß sie nicht erwidert wurde. Ich bin wie du auf der Suche nach mir. Ich weiß, daß du mir zurückgibst, was dir geschenkt wird.«
Verzweifelt stand er mit hängenden Armen vor ihr. »Ich kann nichts wiedergutmachen, Olivia, nichts ändern. Wie kann ich zulassen, daß du ein zweites Mal deine Vernichtung riskierst?«
»Für mich wird sich alles ändern – auch die Zeit wird zurückgedreht sein –, und alles ist wiedergutgemacht«, rief sie und kämpfte dabei ebenfalls mit der Verzweiflung. »Du hast es mir gesagt und in dem Brief geschrieben, daß du mich liebst. Diese Liebe ist mein Halt, mein Talisman, meine Kraft gewesen, auch wenn ich die Fähigkeit verloren hatte, das zu sehen.« Als sie diese Worte aussprach, wurde es ihr plötzlich bewußt: An dieser Stelle hatte sie schon einmal gestanden. Der Kreis war geschlossen. »Sag es mir wieder, Jai. Bitte, sag es wieder!«
»Nein! Du bist die Frau eines anderen.«
»Aber ich bin auch die Mutter deines Kindes, eines Kindes, das in Liebe gezeugt wurde!«
»Liebe!« Seine Lippen verzogen sich. »Es war eine kümmerliche Liebe, die viel Haß befleckt hat, Olivia. Und ich bin jetzt noch mehr besudelt, von eifersüchtigen Gefühlen, die in meinen Eingeweiden wie Höllenfeuer brennen. Für diese befleckte Liebe bist du bereit, ein Leben gesellschaftlicher Ächtung und einen lebenslangen Skandal zu ertragen?« Seine Frage klang schneidend in ihrer Offenheit.
»Du hast beides dein Leben lang ertragen!«
»Für mich ist es deshalb nichts Neues. Ich bin daran gewöhnt. Ich habe gelernt, mich davon nicht beeindrucken zu lassen. Aber du?«
»Als eine Frau, die von ihrem Mann verstoßen wurde, habe ich es ebenfalls gelernt. Auch mich beeindruckt das nicht mehr. Und wenn deine Liebe befleckt ist, dann muß es eben so sein.« Ihre Angst machte sie wieder mutig. »Auch dann werde ich es sein, die gewinnt.«
Er lachte mitleidig und verächtlich. »Du glaubst immer noch, Liebe sei ein Allheilmittel? Du glaubst, auch mit einer befleckten Liebe könnte man eine Welt erobern?«
»Nein. Ich weiß jetzt, daß man es nicht kann. Aber wenn man keine Vollkommenheit erwartet, kann sie einen lehren, das Unvollkommene hinzunehmen.«
Er hob die
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