Wer Liebe verspricht
»Wenn selbst ich mich nicht einmal teilweise kenne, bedeutet das für dich ein lebenslanges Studium!«
»Also gut, abgemacht«, erwiderte sie gelöst und endlich in Seele und Geist befreit. »Wie es aussieht, habe ich ein Leben zur Verfügung.«
Er achtete nicht auf ihren fröhlichen Spott. Noch immer besorgt, blieb er sehr ernst. Er hob ihr Kinn und blickte ihr tief in die Augen. Ihn bezauberte das tanzende Licht darin, aber das Ausmaß ihrer Hingabe machte ihn unruhig. »Deine Liebe ehrt mich, Olivia. Die Hartnäckigkeit dieser Liebe alarmiert mich und berauscht mich gleichzeitig. Aber ich kann weder gut lieben noch die Liebe mit guter Miene annehmen. Meine Gefühle für dich machen mich noch immer zornig, denn sie sind Fesseln, und ich bin nicht gewohnt, ein Sklave zu sein. Du schenkst mir so viel, zuviel, und in meiner Obhut ist es nicht gut aufgehoben.« Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. »Ich möchte, daß du glücklich bist, so glücklich wie … wie meine Schwester«, er brach ab und wurde rot. »Estelle ist glücklich. Aber ich weiß nicht, was das Wesen von Glück ausmacht …« Er war wieder hilflos und verstummte mit einem Schulterzucken.
Olivia glättete sanft die Kummerfalte auf seiner Stirn. »Für mich ist das Wesen des Glücks, bei dir zu sein. Wenn wir Glück haben, werden wir vielleicht beide wieder lernen, richtig zu lieben und die Liebe mit guter Miene anzunehmen.«
Gedankenverloren und mit gerunzelter Stirn strich er ihr zärtlich über die Haare. »Es wird nicht leicht sein, Olivia.«
Sie seufzte. »Nein. Aber war es je anders?«
Lange Zeit schwieg er. Dann löste er sich von ihr, bückte sich und hob das vergessene Bündel auf. Er hielt es einen Augenblick lang in beiden Händen. Dann schloß er die Augen und bewegte tonlos die Lippen, hob seinen kostbarsten Schatz an den Mund, küßte den roten Samt, und dann, ehe Olivia seine Absicht erraten konnte, warf er das Bündel in hohem Bogen in den Fluß. Sie stieß überrascht einen leisen Schrei aus und wollte zum Wasser laufen, aber er hielt sie zurück. »Laß es schwimmen«, sagte er ernst und gefaßt. »Es wird Zeit, die Toten zu begraben. Ich habe genug von Gespenstern.«
»Aber du hast sie geliebt.«
»Ich werde sie immer lieben«, versicherte er ihr sanft. »Man klammert sich an die Toten, wenn es keine Lebenden mehr gibt, an die man sich wenden kann. Wie es aussieht, gibt es jetzt andere, die ich lieben kann.« Er berührte ihre feuchten Lider mit den Fingerspitzen. »Weine nicht. Du weißt, ich kann deine Tränen nicht ertragen, und du hast genug geweint.«
Sie war noch immer wie gebannt von dem tanzenden Schatten auf den Wellen und konnte den Blick nicht von dem Bündel lösen. Beschämung quälte sie. »Ich muß dir gestehen, daß …«
»Sag nichts.« Er verschloß ihr die Lippen mit dem Finger. »Es gehört zur Vergangenheit, die jetzt vergessen werden muß.«
Sie zog seine Hand weg und sagte: »Aber du mußt wissen, wie ich …«
»Ich weiß, wie. Sujata hat es dir gegeben. Wolltest du mir das sagen? Du hast sie gut dafür bezahlt.«
Olivia schluckte beschämt und nickte. »Woher weißt du …?«
»Es war überraschend einfach herauszufinden.« Vielleicht bildete es sich Olivia nur ein, aber in den Tiefen der abweisenden silbergrauen Augen sah sie etwas, das sie bei ihm noch nie gesehen hatte. Er zwinkerte. »Ich kenne Sujatas Parfüm«, erklärte er zögernd, »wo sie gewesen ist, liegt es in der Luft.«
Olivia bekam große Augen. »Du hast sie doch nicht …?«
»Nein.« Wieder antwortete er, ehe sie aussprechen konnte. »Ich habe ihr nichts getan und werde ihr auch nichts tun. Sie ist nach Benares gegangen.« Er ahnte Olivias unterdrückte Eifersucht und beruhigte sie zärtlich. »Du mußt jetzt auch Sujata vergessen. Wir haben beide Dinge getan, auf die wir nicht stolz sein können. Ich mehr als du, Olivia, weit mehr als du!«
Vergessen.
Ein einfaches Wort, und doch verlangte es viel. Was mußte sie alles vergessen! Ihre Gedanken schweiften ab. Sie würden nur ein zögerndes Glück erleben können. Ein grausames Schicksal hatte sie der Hoffnung beraubt. Ihre Zukunft belastete die Angst vor dem Unbekannten, dem Unauslotbaren. Wieder einmal wagten sie sich auf unbekanntes Terrain. Es würde Zweifel und unerwünschte Entdeckungen geben, Groll und schwere Entscheidungen, und es würden unvermeidliche Barrieren bleiben. Mißtrauen und Schmerzen, Verlust und Gewinne – ja, auch Gewinne –
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