Wer liebt mich und wenn nicht warum
Hmpf. Wir sitzen am Seeufer und ich wollte eben diesen überaus poetischen Gedanken mit Maiken teilen, aber sie hat mich dafür fast in den See geschubst. Ich soll so was für mich behalten, hat sie geschimpft. Jetzt kommt ihr das schöne grüne Seewasser nämlich vor wie eine riesige Pipi-Pfütze. Ich habe ihr gesagt, dass Pipi keimfrei ist, aber das wollte sie auch nicht hören.
Toll. Erst quatscht sie mich voll vom Urelement Wasser, aus dem alles Leben entsteht! Von der Magie, die in ihm steckt! Von der gewaltigen Heilkraft natürlichen Wassers! Und sie behauptet, ich sei von der Natur entfremdet, weil mir beim Anblick des Sees keine heiligen Schauder über den Rücken laufen. Und dann philosophiere ich auch mal ein bisschen über dieNatur des Wassers und Maiken wird neurotisch. Dabei könnte es sein, dass ein paar dieser Wassermoleküle hier vor mir schon mal von Ötzi getrunken worden sind.
»Du bist ätzend«, fauchte Maiken.
»Ich bin ötzend«, antwortete ich.
Nach einer langen Zugfahrt sitzen wir gerade auf einem Steg am Seeufer, warten auf das Boot, das uns zur Insel bringen soll, und lassen die Füße ins Wasser baumeln. Ich zumindest! Maiken hat ihre eben angeekelt wieder herausgezogen.
Der See ist wirklich wunderschön, auch wenn sein Wasser vielleicht seit ein paar Jahrtausenden nicht mehr ganz frisch ist. Wenn man die Augen schließt, klingt er fast wie das Meer. Kleine Wellen schwappen an den Bootssteg und manchmal kreischt eine Möwe.
Die Zugfahrt war anstrengend, weil wir so früh aufstehen mussten. Ich war ein bisschen traurig wegen der Rosine, obwohl die beim Abschied sehr tapfer war. Vielleicht hat ihr ja das Geschenk geholfen, das ich ihr kurz vor der Abfahrt überreicht habe: ein neues Brillenputztuch für Prinzessinnen. Jetzt besitzen wir beide eins. Das macht stark.
Trotzdem frag ich mich immer, ob es ihr gut geht, wenn ich nicht da bin und auf sie aufpasse. Man muss bei ihr auf Zwischentöne hören. Kann Flocke das?
Ich war also angespannt und dann musste ich auch noch Vicky ertragen, die unterwegs pausenlos redete, ohne irgendwas zu sagen, das mich interessierte.
Sie sieht übrigens krass aus mit ihren kurzen, blonden Haaren. Nicht mehr wie Barbie, eher wie Heino.
Die Elfer waren nicht mit im Zug, sie sind eben erst mit demAuto hier angekommen, stehen drüben auf dem Parkplatz und reden und lachen. Ich kenne sie alle nicht.
Vicky fragte gerade, ob wir nicht mal rübergehen sollten, sie traut sich alleine nicht. Tja, Vicky, für solche Aktionen braucht man Freundinnen. Schade, wenn man keine hat. Ich würde die ja auch gern kennenlernen, aber jetzt verschiebe ich das auf später. Um Vicky zu ärgern.
Maiken wirkt nervös, seit wir hier sitzen. Vielleicht, weil man da drüben unsere Insel sieht. Man erkennt einen wackligen Holzsteg am untersten E-Ärmchen, die anderen Stege sind von hier aus zu weit weg. Am Ufer wächst dichtes Schilf. Dahinter ragen riesige Bäume auf, mit Zweigen, die an manchen Stellen bis ins Wasser hängen. Man sieht kein Haus, kein Auto, kein Boot. Ötzi hätte sich da bestimmt wohlgefühlt.
»Gibt es in Deutschland eigentlich gefährliche Tiere?«, fragte Maiken eben.
»Und ob«, sagte ich.
Maiken riss erst die Augen auf, aber dann verengte sie sie zu Schlitzen. »Boah, Lilia, du lügst!«, murrte sie.
»Doch echt«, beteuerte ich. »In meinem schlauen Buch steht: In unberührter Natur gibt es bei uns Kreuzottern. Und die meisten Kreuzotter-Bisse enden tödlich …«
Maiken wurde blass.
»… für die Schlange«, sagte ich und wich ihrem Tritt aus. »Nee, Maiki, mal im Ernst. Die gefährlichsten Tiere hier bei uns sind aufblasbare Schwimmtiere, weil damit jedes Jahr Kinder ertrinken. Auf der Insel müssen wir nur darauf achten, keinem Auerochsen vor die Hörner zu laufen, mehr kann eigentlich nicht passieren. Von Tieren droht uns da keine Gefahr. Nichtmal von Zecken. Auf Kuhweiden sind die weniger gefährlich als sonst, sie enthalten in der Nähe von Kühen viel seltener Krankheitserreger.«
11.00 Uhr Ja. Haha. So sprach ich, als ich noch auf dem Festland war und noch nicht wusste, was auf der Insel alles kreucht und fleucht. Da war ich noch ganz obenauf, ich Depp! Jetzt weiß ich es, aber jetzt ist es zu spät, ich kann nicht mehr fliehen.
Ich glaube, meine innere Stimme ist noch nicht wirklich zu neuem Leben erwacht. Sie scheint mir ziemlich verpeilt. »Halte ein«, hätte sie rufen sollen, als ich aufs Boot kletterte. »Fahre nicht auf
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