Wer mit Hunden schläft - Roman
den Leitenbauerischen war kurz, aber schmerzhaft. Nicht, dass es dem Norbert im Herzen wehgetan hätte, vom Leitenbauerhof weggeschickt zu werden, ohne gefragt zu werden obendrein. Das war ihm im Gegenteil komplett wurscht, bereitete ihm in diesem Moment sogar eine gewisse Freude, diese Weggabe. Das Abschiednehmen konnte tatsächlich nicht einmal so bezeichnet werden. Wird bei solchen Gelegenheiten im Allgemeinen von tränenreichen Abschieden gesprochen, wurde bei diesem Abschied keine einzige Träne vergossen. Eine durch Herzschmerz verursachte jetzt. Der Norbert ging beim endgültigen Verlassen des Leitenbauerhofs weg wie zum Beispiel zur Schule oder zur Kirche. Lediglich das feierliche Gewand, das der Norbert und die Dirn trugen, ließ einen besonderen Anlass vermuten, was auf die Leitenbauerischen aber nicht den geringsten Eindruck machte. Nachdem sie den sonntäglichen Brennsterz aufgegessen hatten, sind die Leitenbauerbuben schnurstracks vom Tisch aufgesprungen und hinter die Holztruhe geeilt, in der das zum Anheizen des Tischherds verwendete Spanholz aufbewahrt wurde. Hinter dieser Holztruhe versteckt, haben sie abwechselnd ihre zu Grimassen verzerrten Fressen gezeigt, dem noch am Tisch sitzenden Norbert die Zunge herausgestreckt und eine lange Nase gemacht. Haben einander zwischendurch zur gegenseitigen Anfeuerung angeschaut und sind in ein hysterisches Gelächter ausgebrochen. Haben kleine Spanhölzer in seine Richtung geworfen, die sich in der wachsenen Oberfläche des Walkjankers verfangen haben. Woraufhin die Leitenbauerin ihren nassen Aufreibfetzen über die Köpfe der Leitenbauerbuben geschlagen und, gebt eine Ruh, ihr Hunde, geschrien hat. Mit nassen roten Köpfen sind sie aufgesprungen, hinausgerannt aus der Stube und damit auch aus dem Leben des Norbert. Sind ihm in diesem Moment verlustig gegangen, in der Weise, wie einem ein schlampig eingesteckter Schlüssel verlustig geht, man das Schloss, das dieser Schlüssel sperrt, aber schon längst vergessen hat. Ebenso wie die Tür, die jetzt für immer verschlossen bleiben muss. Machst dir’s leicht, gell, Bub. Gehst weg und lässt uns hier alleine weiterarbeiten. Wo wir so viel Arbeit haben und jede Hilfe brauchen täten, hat die Leitenbauerin gesagt, als wäre es die autonome Entscheidung des Norbert gewesen, vom Leitenbauerhof wegzugehen. Als würde er es nur den Leitenbauerischen zu Fleiß tun, um ihnen damit zu schaden. Hat es in einer ihn der Undankbarkeit bezichtigenden Art gesagt, die Leitenbauerin, die ihm eine Schuld hat aufbürden wollen, wo keine Schuld gewesen ist in Wirklichkeit. Einen undankbaren Bankert sah sie in ihm, diesen Vorwurf der Undankbarkeit sprach sie aber nie laut aus, die Leitenbauerin, der war immer nur in ihren Blicken, Gesten und Handlungen versteckt. Die Mutter des Norbert hat ihm, während er den wie immer versalzenen Brennsterz der Leitenbauerin aß, mit kurzen, zupfenden Bewegungen die Holzspäne aus dem wachsigen Walkjanker entfernt und die dadurch entstandenen Ausfransungen wieder ungeduldig glatt gestrichen. Dieses ungeduldige Gezupfe und Gestreiche diente einerseits zur Bewahrung des ordentlichen Äußeren des Norbert, weil die Mutter vor dessen Abreise zum Schießen eines gemeinsamen Erinnerungsfotos beim Pichlberger Fotofrosch einen Termin vereinbart hatte und auf diesem Erinnerungsfoto einen ordentlichen Norbert abgebildet haben wollte. Sich in ihrer Erinnerung einen GESCHNÄUZTEN UND GEKAMPELTEN Norbert bewahren wollte, wie sie den ganzen Vormittag sagte. Andererseits machte sie es zur Ablenkung von der Trauer, die in ihr steckte, von der sie sich nicht befreien konnte und von dem schlechten Gewissen auch. Der Pichlberger Fotofrosch war eine Institution, wenn es um Aufnahmen diverser Pichlberger und Brandtaler Familien in unnatürlichen Posen und übertrieben zur Schau gestellter Heiterkeit ging. Das Geschäftslokal lag hinter dem Bahnhof. Angrenzend an das Studio betrieb der Besitzer noch einen Altwarenhandel, in dem es kaputte Kameras, Bilderrahmen und allerhand anderen Krempel zu kaufen gab. Das mutmaßliche Studio, wie es der Besitzer nannte, war in Wirklichkeit ein weiß ausstaffierter ehemaliger Hühnerstall, dessen hintere Wand das Panorama des Grimming zierte, dem Mons Styriae altissimus. Dieses Panoramabild stand in seinem ganzen Kitsch den Bildern der Neger um nichts nach. Hinter dem staubigen Schaufensterglas hingen Dutzende von der Sonne vergilbte Familienfotos, mit starr lächelnden Gesichtern vor
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