Wer mit Hunden schläft - Roman
wurde die Zeltfestwiese, die eher einem Schlachtfeld als einem Vergnügungsgelände glich, von den Schwerverletzten gesäubert. Am nächsten Tag würden nur mehr die zertretene Wiese, einige verstreute Glassplitter zerschlagener Augenkannen und vereinzelte bunte Reste von Erbrochenem an das Fest erinnern. Schon eine Woche später würden Pensionisten ihre Hunde über die Wiese spazieren führen, Kinder Fußball spielen und die sommerliche Abenddämmerung würde die letzten Sonnenstrahlen darüberstreicheln lassen, als wäre nie etwas passiert.
»Eines hab ich gelernt seinerzeit, Kreisky, unter der Idylle ist das Ungute zu Hause. Das kannst du mir glauben. Je idyllischer, desto unguter. Die Formel kann sich ein jeder ganz leicht merken. Dazu muss man kein Rechengenie sein, Kreisky, wirklich wahr«, sagt der Herr Norbert.
Die Verletzten wurden in das Landeskrankenhaus Mürzzuschlag zum Zusammenflicken der zertrümmerten Fressen und Gliedmaßen eingeliefert. Bei den auszubildenden Turnusärzten war das alljährliche Pichlberger beziehungsweise das Brandtaler Zeltfest äußerst beliebt. Aus den verschiedenen steirischen Landeskrankenhäusern reisten die jungen Turnusärzte zur Zeit der Zeltfestwoche in das Mürztal, um an den verschiedensten Verletzungen der zuhauf eingelieferten Patienten ihre Techniken zu verbessern. In der Woche, in der auch der Leitenbauer mit einem Schädelbasis- und Jochbeinbruch eingeliefert wurde, entfernten diese jungen Ärzte von jeweils unterschiedlichen Personen drei zerquetschte Daumen, einen kleinen Zeh, ein halbes Ohr und mehrere Zähne, die im krankenhauseigenen Biosondermüllcontainer entsorgt wurden, wie es die obersteirische Zeitung in ihrer Schlagzeile titulierte. Der Rest der lose an den Patienten hängenden Körperteile konnte durch chirurgische Kunstgriffe zurück an ihren Platz genäht, genagelt und geschraubt werden. Das Pichlberger Zeltfest war für die Turnusärzte ergiebiger als zum Beispiel eine Massenkarambolage auf der Autobahn oder ein Zugunglück. Später, bei der ambulanten Wundkontrolle, würden sich die Feinde im Wartezimmer des Krankenhauses eingefunden haben und zur Überbrückung der Wartezeit manchmal sogar einen Bauernschnapser anreißen. Würden sich lachend und schenkelklopfend an die Nacht zurückerinnern und nach der Wundkontrolle gemeinsam auf ein Seidel Bier gehen, in das Krankenhauscafé zum Beispiel, und später, nach dem fünften Seidel Bier, erneut über irgendwas in Streit geraten. Durch die Nacht-und-Nebel-Aktion konnte sich der Leitenbauer der Verantwortung für den Ehebruch entziehen. Zwar unter Schmerzen, aber doch elegant. Weder die Leitenbauerin noch die Leitenbauerbuben schöpften aufgrund der für sie völlig plausiblen bei dem Zeltfest erlittenen schweren Kopfverletzung des Leitenbauer Verdacht. Wurden durch die Verletzung völlig getäuscht durch den Leitenbauer. Niemand hätte je von den außerehelichen Aktivitäten des Leitenbauer erfahren, wären nicht die Auswirkungen dieser Aktivitäten folgenschwer gewesen. Diese Auswirkungen hatten mit dem Norbert allerdings nicht mehr direkt zu tun, war das Schicksal des Norbert doch bereits zum Zeitpunkt seiner Störung des außerehelichen Beischlafs des Leitenbauer mit der Dirn im Leitenbauerkopf beschlossene Sache gewesen und wurde nur durch dessen Krankenhausaufenthalt unnatürlich in die Länge gezogen. Das Urteil war vom Leitenbauer augenblicklich gefällt und mithilfe des Pfarrers Probodnig kurze Zeit später vollstreckt worden. Es war nicht nur ein kurzer, sondern gar kein Prozess, so wie es bei Kindern grundsätzlich üblich ist, weil Minderjährige noch keine eigenen Entscheidungen treffen dürfen oder die sie betreffenden Urteile anfechten können. Beim Anblick des Norbert, nackt auf dessen Mutter liegend, beschloss der Leitenbauer also sofort die Kindsweggabe. Schon einen Monat nach dem Vorfall hatte der Pfarrer Probodnig seine Wiener Verbindungen, wie er gesagt hat, spielen lassen und einen Heimplatz im Arnautovič Kinderheim der Stadt Wien für den Norbert erwirkt. Noch am Krankenbett überbrachte der Pfarrer Probodnig dem Leitenbauer die freudige Nachricht. Nur einen weiteren Monat später stand die Mutter mit dem in seinem Kindersteireranzug steckenden, sich wegen dem Walkjanker am Oberkörper kratzenden Norbert, wie gesagt, am Bahnhof von Pichlberg und wartete auf den Regionalzug nach Mürzzuschlag, von wo aus er den Zug nach Wien nehmen musste.
Der Abschied vom Leitenbauerhof und
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