Wer mit Hunden schläft - Roman
Steirerhut. Einen zerfransten Steirerhut, in dem noch ein Büschel Haare steckte, als letzter Rest seines Eigentümers. Als sterbliche Überreste quasi. Der Lokführer war abergläubisch und hatte deshalb den Steirerhut als Schutz vor einem weiteren tragischen Unfall neben dem Steuerpult an die Wand gehängt. Der ausgefranste Steirerhut erinnere ihn an die eigene Vergänglichkeit, meinte er. Der Körper stirbt, aber der Steirerhut lebt weiter. Viele Generationen nach ihm werden tot sein, nur der Steirerhut lebt weiter, hat der Lokführer gesagt. Im Gegensatz zu den sterblichen Überresten gehören der Steirerhut sowie auch der Steireranzug zu den unsterblichen Überresten des Menschen, hat er gesagt. »Nicht die Seele, sondern die Kostümierung lebt weiter, Kreisky, sag ich zu ihm. Dich werden sie genauso wegräumen einmal wie mich, und mein Gewand und meine Schuhe und deine Leine und deinen Beißkorb werden sie wegschmeißen. So wird es sein einmal, ob du es glaubst oder nicht, Kreisky«, sagt der Herr Norbert.
Ende Februar, hat der Lokführer gesagt, ist es besonders gefährlich hier. Der Winter dauert schon zu lange und der Alkoholspiegel der Bevölkerung ist aufgrund der Faschingsfeierlichkeiten überdurchschnittlich hoch zu der Zeit. Im Fasching geht mir immer am meisten der Reis, hat der Lokführer gesagt. Da liegen die Besoffenen auf dem Bahnsteig herum wie die Märzfliegen auf der Hausmauer. Auch dieses Mal betätigte er schon weit vor dem Ortseingang das Signalhorn, damit sich die Besoffenen rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Langsam und durch den Schnee beinahe lautlos fuhr der Zug in den Bahnhof von Pichlberg ein. Oder das, was davon übrig geblieben war. Die Schranken des Bahnübergangs waren verschwunden. An ihrer statt stand an beiden Seiten ein hoher Maschendrahtzaun. Auch das Gebäude selbst, in dem der Warteraum, das Büro des Fahrdienstleiters und eine Toilette gewesen waren, gab es nicht mehr. In einer winzigen Blechhütte, die in der Mitte des Bahnsteigs aufgestellt war, suchten drei Gestalten Schutz vor dem Schnee. Ihre Gesichter bedeckten Hexenmasken und sie trugen altmodische Dirndlkleider. In einer Hand hielt jede eine Rute, mit der sie auf den einfahrenden Zug einschlugen. Trotz der langsamen Geschwindigkeit des Zuges wurde der Schnee aufgewirbelt, der die hin- und herwankenden Hexengestalten einhüllte. Der Zug fuhr in einer lang gezogenen Kurve am Hauptplatz von Pichlberg vorbei, wo in dem Moment der traditionelle Pichlberger Faschingsumzug stattfand. Der Faschingsumzug wurde jedes Jahr am Faschingsdienstag vom Pichlberger Trachtenverein veranstaltet, bei dem auch der Leitenbauer konstituierendes Mitglied gewesen war natürlich. Bei einer Gaudi war der Leitenbauer immer live dabei, wie er gesagt hat. Hat auch immer geholfen, einen der traditionellen Umzugswagen mitzugestalten. Diese Umzugswagen wurden einem gewissen Thema gemäß hergerichtet. Einer dieser Umzugswagen war immer der Hinrichtungswagen. Als der Norbert, im Führerhaus der Lok sitzend, mit dem Zug am Pichlberger Hauptplatz vorbeifuhr, konnte er diesen Hinrichtungswagen sehen. Konnte deutlich den aufgebauten Galgen erkennen, an dem eine mit Stroh ausgestopfte Puppe baumelte. Diese Puppe wurde immer stellvertretend als Sündenbock gehenkt. Also stellvertretend für die Person, die im vergangenen Jahr schuld war an einer Irritation der Einheimischen. Wurden zum Beispiel die Betriebskosten erhöht, weil die Müllabfuhr sich einen neuen Müllwagen gekauft hatte, schon baumelte stellvertretend die Puppe mit dem Kopf des Bürgermeisters am Galgen. Hatte der Pichlberger Fußballverein im Derby gegen den Brandtaler Athletik Klub verloren, schon baumelte stellvertretend die Puppe mit dem Kopf des Trainers am Galgen. Hatte der Dorfwirt seine seit Jahren leer stehenden Gästezimmer an eine afrikanische Asylantenfamilie vermietet, schon baumelte stellvertretend für ihn die Puppe am Galgen. Zusätzlich steckte man diese in ein Baströckchen, setzte ihr eine buschige Perücke auf und steckte ihr zwei rote Kürbishälften in den Mund. Zudem konnten die Kinder der Asylantenfamilie vom Dorfwirt überredet werden, auf dem Hinrichtungswagen als kleine Negerlein aufzutreten. Zum Gaudium der Faschingsumzugsbesucher sprangen die halb nackten Negerkinder im eiskalten Februarwind Huga-Huga schreiend um die gehenkte Puppe herum. Schlugen unter den Anfeuerungsrufen der Besucher mit Bambusstöcken auf diese ein. Durch die Schläge löste sie
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