Wer mit Hunden schläft - Roman
in den Sautrog. Niemals wurde ein Lebensmittel, das man ihnen schenkte, aufgegessen. Es landete im Sautrog, oder sie gaben es dem Norbert, den sie dann misstrauisch beim Essen beobachteten, als müsste er ihrer Logik gemäß jeden Moment tot umfallen. Die Leitenbauerbuben trauten nie jemandem, hatten ständige Angst vor dem Gifttod, vor der Dunkelheit und uneinsehbaren Winkeln. Dem Norbert hingegen haben die Äpfel des Wagenbauer sehr gut geschmeckt, so wie er sich auch in der Dunkelheit wohlfühlte, in der nur der Wald wie ein nasser Fleck auf einem braunen Leintuch noch schwärzer nachtete. Bekam oft eine ganze Steige geschenkt vom Wagenbauer, weil der den Norbert gern gemocht, ihm immer aufmunternde Worte gesagt hat. Die Mutter vom Norbert hat daraus einen köstlichen Apfelstrudel gebacken, in dem die Leitenbauerbuben lustlos herumstocherten, diesen zu essen von der Leitenbauerin aber gezwungen wurden, weil sie gegen jede Verschwendung ganz negativ eingestellt war und auch die Mutter vom Norbert immer gesagt hat, EINEM GESCHENKTEN GAUL et cetera. Als der Norbert den Semmering hinter sich gelassen hatte, das letzte Viadukt passierte und sich das enge Tal auszuweiten begann, biss er hungrig in so einen Wagenbauerapfel hinein.
Die Strecke auf der sogenannten Südbahn fuhr der Norbert nur zwei Mal. Eben diese erste Fahrt von Pichlberg nach Wien und zehn Jahre später die Fahrt von Wien nach Graz im Zuge der Ausbildung in der ÖBB -Lehrwerkstätte, die er im Führerhaus einer zehnvierundvierziger Lokomotive verbringen durfte. Bei sonnigem Wetter hatten sie den Wiener Südbahnhof verlassen, in aller Herrgottsfrühe. Der Lokführer war ein kleiner, dicker Mann, mit einem kurzen, breiten Oberlippenbart, dem der speckige Kopf halslos am Oberkörper angewachsen war, ihm am Hinterkopf eine Genickwampe herausgedrückt wurde dadurch. Fünf Minuten nachdem sie den Südbahnhof verlassen hatten, begann er mit einem Monolog, den der Norbert auch mit kurzen Zwischenfragen meist technischer Natur nicht stoppen konnte. Hat bei jeder Frage des Norbert drübergeredet, ja ja gesagt und seinen runden Kopf in einem heftigen Nicken auf und nieder gerissen. Mit großem Eifer wollte er dem Norbert den Beruf des Lokführers schmackhaft machen, da, wie er sagte, der Bedarf an Nachwuchslokführern bei den ÖBB groß war. Sich aber nur wenige nach Absolvierung der Lehre für diesen Beruf entscheiden würden, sondern lieber fix an einem Heimatbahnhof stationiert sein wollten und somit bei KIND UND KEGEL , wie die Mutter immer gesagt hat. Der Lokführerberuf ist mitunter einsam, hat der Lokführer gesagt. Dass er ihn trotz allem nicht gegen einen anderen, dem des Fahrdienstleiters zum Beispiel, tauschen wollte. Die Fahrdienstleiter waren bei den Lokführern anscheinend nicht sehr angesehen, in der Hierarchie der ÖBB -Bediensteten jetzt, die offensichtlich eine große Rolle spielte. Wir Lokführer, hat er gesagt, sind die Speerspitze der ÖBB . Wir Lokführer tragen die meiste Verantwortung, über die Menschen und die Güter, die wir jeden Tag transportieren. Wir Lokführer müssen jeden Tag pünktlich, ordentlich adjustiert, ausgeschlafen und natürlich nüchtern zu unserem Dienst erscheinen. Wir Lokführer sind ein Vorbild für alle ÖBB ’ler. Wir Lokführer tragen nicht umsonst eine Uniform. Wir Lokführer sind zivile Soldaten. Nach jeder Frage, die der Norbert dem Lokführer stellte, hat dieser mit den Worten wir Lokführer einen neuen Monolog begonnen, der mit der Frage des Norbert nichts zu tun hatte. Dabei hatte sich der Norbert für die Einzelheiten des Lokführerberufs gar nicht interessiert. Hatte sich nur deshalb bei den Lokführern gemeldet, weil in der Instandhaltung kein Platz mehr gewesen war. Aber egal, hatte er sich gedacht, ein Lokführer wird schon über seine Maschine Bescheid wissen, die er täglich zu bedienen hat, logischerweise. Leider musste er schon bald feststellen, dass den Lokführer die elektrische Maschine überhaupt nicht interessierte. Seine ganze Aufmerksamkeit nur dem Führen der Lok galt, der Organisation der Lokführer in der Beamtengewerkschaft, in der die Lokführer eine gewichtige Rolle einnahmen, wie er dem Norbert versicherte. Nichts in der Gewerkschaft konnte ohne Absegnung der Lokführer durchgesetzt werden, so dieser. Die Lokführer sind die Freimaurer in der ÖBB , hat der Lokführer gesagt. Nein, wir Lokführer, hat er gesagt. Ohne uns Lokführer würde das System nicht funktionieren. Bei einem
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