Wer mit Hunden schläft - Roman
Mundwinkel normalerweise mit tiefen Falten hinunter bis zum Kinn, hatte sie auf einmal ein Lächeln im Gesicht, als es ans Sterben ging. Gott sei Dank, endlich wird alles besser, hat sie gesagt, fuhr sich noch einmal mit ihrem verknöcherten Finger in das Ohr, das gejuckt hat offensichtlich, und verschied. Gab ihren arthritischen Körper auf, so wie das Leben, das sie die meiste Zeit halb tot vor Müdigkeit auf einem Stockerl hockend in einem stinkenden Stall verbracht hatte. Selbst ihre Kinder wurden in diesem Stall gezeugt. Wurde ihr, während sie sich bückte und die Schweine fütterte, vom alten Leitenbauer von hinten sein Stachel eingeführt. »Wenn du ein Kind bist, wird dir gesagt, was du zu tun und zu lassen hast. Meistens aber, was du zu lassen hast. Was gut ist und was schlecht ist, sagen sie dir. Wird dir ins Gesicht geschlagen, wenn du zum Beispiel eine Weinbergschnecke zertrittst, nicht aber, wenn es eine Nacktschnecke ist, die du umbringst, dann wirst du geherzt. Jedes Alter hat seine eigene Vorstellung von Moral, die jeweils gültig ist. Da fährt der Zug drüber, sagen sie dir. Bist du erwachsen, tun dir die von den Kindern zertretenen Weinbergschnecken leid, hoffst aber darauf, dass der Tod die Großmutter endlich erlöst, wie es dann heißt. Der Tod der Weinbergschnecken ist trauriger für dich als der deiner eigenen Großmutter, Kreisky, wirklich wahr, sag ich zu ihm.«
Wir Lokführer bekommen auch einen Haufen Zulagen gerechterweise, hat der Lokführer gesagt. Natürlich gibt es immer welche, die uns diese Zulagen neidig sind. Die Schienenarbeiter zum Beispiel. Die Schienenarbeiter hören wir hinter unseren Rücken immer am meisten schimpfen. Mehr noch als die Fahrdienstleiter. Weil sie ihrer Meinung nach die noch viel schwerere Arbeit haben, dafür aber nicht so gute Zulagen bekommen wie wir Lokführer. Dabei weiß doch jeder, dass die Schienenarbeiter der ÖBB den größten Lenz haben im Gegensatz zu uns. Fährst du an so einem Schienenarbeitertrupp vorbei, kannst du dir sicher sein, dass einer arbeitet und vier zuschauen. Das ist die Arbeitsmoral der Schienenarbeiter, hat der Lokführer gesagt. Tatsächlich war das seinerzeit auch die Meinung vom Leitenbauer. Selbst die Neger sind dem Leitenbauer lieber gewesen als die Schienenarbeiter der ÖBB . Einen Neger kannst du wenigstens den ganzen Tag eine Grube graben lassen, hat er gesagt. Der Neger gräbt den ganzen Tag, wenn du ihm versprichst, dass er am Abend eine warme Erdäpfelsuppe zum Saufen kriegt. Das kannst du bei den Schienenarbeitern vergessen. Kaum drehst du dich um, lassen die ihre Schaufeln fallen und nehmen ihre Bierflaschen in den Mund, die sie immer unter ihren gelben Monturen verstecken, damit sie keiner sieht. Obwohl eh jeder weiß, dass sie dort sind, weil von was sollen sie denn sonst so besoffen werden den ganzen Tag über, die faulen Schweine, hat er gesagt. Der Lokführer und der Leitenbauer waren sich in der Frage über die Arbeitsmoral der Schienenarbeiter also einig. Außerdem haben die ja überhaupt keine richtige Ausbildung, hat der Lokführer gesagt. Sind direkt nach der Hauptschule zum Schienenarbeitertrupp gegangen. Wir Lokführer haben eine gute Ausbildung. Für gute Ausbildung kriegt man halt besser bezahlt, so einfach ist das. Aber sag das mal einem Schienenarbeiter. Dem kannst du so was nicht sagen, dem sind die größeren Zusammenhänge gar nicht bewusst, im Gegenteil, sind ihm scheißegal. Das steht mir auch zu, sagt der höchstens, hat der Lokführer gesagt, et cetera. Als der Norbert diese Sätze gehört hat, fuhren sie gerade in den Bahnhof Bruck an der Mur ein. Dem Norbert ist das Fahren in der Lok mit dem Lokführer mittlerweile schon vergangen, er hatte nicht die geringste Lust mehr, mit ihm noch bis Graz weiterzufahren. Sich das uninteressante Gerede des Lokführers noch weiter anhören und die noch trostlosere Landschaft an ihm vorbeiziehen sehen zu müssen. Ihm von dem Anblick dieser Landschaft schon gegraust hatte nach der Reise. Weil sie, außer ein paar alten Traktoren, Heuschobergerippen und in den Orten vereinzelt stattfindenden Faschingsumzügen und Sautänzen verschiedener Vereine, Gruppierungen und Bündnissen traditionsbewusster Einheimischer, völlig ausgestorben war. Die ebenso wie die Vereine aus tödlicher Langeweile entstandenen Veranstaltungen quasi die einzigen Lebenszeichen waren in der Einschicht neben der Südbahnstrecke. In zehn Minuten fahren wir weiter, hat der Lokführer gesagt,
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