Wer mit Hunden schläft - Roman
so fort …
Als Deppenmagnet ist die Funktion des Herrn Norbert aufsaugen und schweigen. Nur dafür wird er ausgewählt und verwendet. Als Schwamm quasi. Die Verwandlung vom anfangs nur äußerlichen Deppenmagneten bis hin zum inneren war schleichend, aber letzten Endes unausweichlich. Hatte sich der Norbert anfangs aus Mitleid zum Zuhören hinreißen, über das normale Maß hinaus voll- und zu schwafeln lassen, aus einem sozialen und menschlichen Anstand heraus, dem ihm die Mutter in ihrem Menschenoptimismus eingetrichtert hatte, war mit der Zeit ein unsteuerbarer Automatismus daraus geworden, der es ihm unmöglich machte, sich dem über ihm entleerenden Deppen zu entziehen. »Ein Deppenmagnet bist du lebenslänglich, Kreisky. Nichts ist unveränderbarer als ein Deppenmagnet zu sein. Zuerst machst du es nur aus Höflichkeit, dann kannst du nicht mehr anders auf einmal. Sie kommen und sudern und jammern dich an und du hörst zu Kreisky, sag ich zu ihm. DAS ERSTE, DAS SIE IN DER BAUERNAKADEMIE LERNEN, IST DAS SUDERN , hat die Mutter immer gesagt. Sudern, Jammern und Schlechtreden sind die Grundlagen, die ein Bauer lernt und die als ungeschriebene Überlebensregeln jeder Bauer kennt. Und nicht dass du glaubst nur die Bauern, Kreisky. Die Suderer suchen und jagen ihre Deppenmagnete so lange, bis sie sie gefunden und gefangen haben, wirklich wahr«, sagt der Herr Norbert. Dieses Gesudere und Gejammere müssen die Deppenmagnete über sich ergehen lassen. Oft über Jahrzehnte beziehungsweise ein ganzes Leben lang sind sie dem Leidensdurchfall der Deppen ausgeliefert. Die Täter misten sich aus und stopfen ihr Opfer damit voll, das schließlich daran zugrunde geht und als tragisches Unglück endet. Was so viel heißt wie im Irrenhaus oder, wie in Pichlberg so beliebt, auf den Zuggeleisen. BALD KANNST DU DEN GRÜNEN HEINRICH HOLEN oder BALD KOMME ICH NACH PUNTIGAM LINKS , hat die Mutter immer gesagt. Womit sie die psychiatrischen Ärzte beziehungsweise die Sigmund-Freud-Klinik in Graz meinte, die bei den Leuten als grüner Heinrich und Puntigam links verniedlicht und lächerlich gemacht wurden, aus dem einzigen Grund, weil sie eine Todesangst vor ihnen hatten und es außerdem keine größere Schande gab, als bei den anderen Leuten als hirnkrank zu gelten. Darum wurde der Selbstmord selbstverständlich der Einlieferung nach Puntigam links durch den grünen Heinrich vorgezogen. Der Norbert war jedenfalls am Land und selbstverständlich auch in der Stadt immer wieder Opfer seines Deppenmagnetschemas geworden. War weder von den Landmenschen noch von den Stadtmenschen, von denen er aufgrund der seinerzeitigen Freundlichkeit der Sommerfrischler geglaubt hat, dass sie die besseren seien, verschont geblieben. Genauso wie sie früher in den europäischen Wildwestfilmen nur weiße Schauspieler engagierten und diese Schauspieler im Gesicht mit schwarzer, roter oder gelber Farbe anmalten, je nachdem ob sie einen Neger, einen Indianer oder einen Chinesen spielten, so war auch die Freundlichkeit bei den Leuten nur aufgepinselt.
»Der Leitenbauer und der Hudin sind überall und in jedem. Ein jeder Deppenmagnet wird von seinem eigenen Leitenbauer und seinem eigenen Hudin entdeckt und missbraucht. Schon als Kind ist das so, Kreisky. ES IST WIE EIN KAMPF GEGEN WINDMÜHLEN , hat die Mutter immer gesagt. Und nicht nur, dass du gegen sie kämpfst, nein, sag ich, du baust sie dir sogar noch selbst auf. Du allein, sonst niemand, Kreisky… Mühlen bauen, dein Leben lang, wirklich wahr«, sagt der Herr Norbert.
Wie es die Mutter am Bahnhof von Pichlberg dem Norbert prophezeit hatte, konnte man den Erzieher des Arnautovič Kinderheims, der ihn am Wiener Südbahnhof abholen sollte, wirklich nicht übersehen. Der Erzieher sah aus wie ein Kasten auf drei Beinen. So wurde er auch, wie die Älteren es dem Norbert kurz nach seiner Ankunft beigebracht hatten, von allen Kindern und Jugendlichen des Arnautovič Kinderheims genannt: Transistor. Und zwar aus dem Grund, weil er nur mehr ein Bein hatte und auf Krücken gehen musste. Als der Norbert aus dem Zug ausstieg, mit besagten schlotternden Knien und von Übelkeit hervorgerufenem bleichen Gesicht, sah er den Guritsch, wie er wirklich hieß, sofort. Wie ein Fettfleck auf einem weißen Tischtuch stach er auf dem überfüllten Bahnsteig heraus. Damit er beide Hände frei hatte, klemmte er sich den Griff seiner Krücke unter das Becken, wo das Hosenbein über dem abgeschnittenen und somit nicht mehr
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