Wer Mit Schuld Beladen Ist
so?«
»Frauen haben eine mystische Affinität zu Wasser. So ein Gezeitending, weißt du, die Anziehungskraft des Mondes.«
»Aha. Und Männer?«
»Ach, Männern gefällt einfach das stetige Reiben auf und ab.«
Glücklicherweise waren seine Augen durch die Brille geschützt, als sie ihm Wasser ins Gesicht spritzte.
In den Sesseln vor dem Holzofen kamen sie zur Sache. Sie hatte die Kerzen ausgeblasen und das Licht abgeschaltet, ehe sie sich setzten. »Manchmal ist es einfacher, im Dunkeln zu reden«, meinte sie.
Natürlich war es nicht dunkel. Das rot-orange Flackern des Feuers spendete ihnen Licht. Doch sie hatte recht. In der Wärme des Holzofens und den Schatten, die in den Ecken tanzten, lag etwas, das seelische Zwänge löste. Er fragte sich, ob die Theorie des kollektiven Gedächtnisses nicht doch stimmte, wenn Tausende von menschlichen Generationen, die vor dem Feuer gesessen hatten, ihm dieses Gefühl vermittelten: offen, ausgeglichen, weder sich vor dem, was kam, fürchtend noch darauf wartend. Er betrachtete das Gesicht der Frau, die ihm gegenübersaß.
Oder vielleicht war es Clare.
»Was sagt deine Eheberaterin?«, fragte sie.
»Was alle anderen auch sagen. Dass ich mich entscheiden muss. Allerdings formuliert sie es anders: ›Ich muss meine inneren Ziele erkennen und sie mit meinen bestehenden Intentionen in Einklang bringen.‹« Er beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt. »Was sagt dein spiritueller Berater? Diakon Wiggelsworth?«
»Aberforth. Willard Aberforth. Er hat mir eigentlich keinen Rat gegeben, sondern mir eher beim Reden zugehört. Es ist eine große Hilfe, wenn man sich den ganzen Müll, der sich angesammelt hat, von Herzen reden kann.«
»Müll?«
Sie lächelte humorlos. »Du glaubst, ich wäre in dieser Angelegenheit so überaus geduldig und gleichmütig. Du hast ja keine Ahnung. Wie oft habe ich mich dabei ertappt, dass ich dachte: Nun, vielleicht kriegt seine Frau ja einen Herzinfarkt und fällt tot um oder vielleicht stürzt ja bei ihrer nächsten Geschäftsreise das Flugzeug ab. «
Er zuckte zusammen.
»Ich weiß. Das sind furchtbare Gedanken, und ich hasse mich deswegen. Die Zeiten, in denen ich buchstäblich auf meinen Händen sitze, damit ich dich nicht anrufe und zu mir in mein Bett einlade. Diese widerwärtige, verzehrende Eifersucht, wenn ich mir vorstelle, wie ihr beide normale, dumme Dinge tut, wie Paare sie nun mal zusammen tun. Abends gemeinsam essen. Zusammen ein Video gucken.« Sie brach ab. »Miteinander schlafen. Gott, als ihr beide in die Weihnachtsferien gefahren seid, war ich ein Wrack. Ein absolutes Wrack. Da wusste ich, dass ich mir diese Zeit nehmen muss. Ich wusste, dass ich allein sein muss, um nachzudenken und zu beten.«
»Oh, Liebling.« Er seufzte. »Dieser Urlaub sollte dazu dienen, unsere Ehe wiederzubeleben.«
»Wie ist es gelaufen?«
»Vermutlich besser, wenn ich es geschafft hätte, nicht öfter als alle fünf Minuten an dich zu denken.«
Sie lächelte ein wenig.
»Seit ich ihr von uns erzählt habe, tut Linda ihr verdammt Bestes, um zu mir durchzudringen. Am Anfang waren es Einkaufstüten voller Reizwäsche und Seidenlaken und Massageöl.«
Clare zuckte zusammen.
»Dann kam die Reise nach Montreal, dann die Eheberatung. Sie hat mich sogar aus dem Haus geworfen. Ich glaube nicht, dass sie daran interessiert ist, den unverheirateten Teil ihres Ichs zu entdecken, was ihr die Therapeutin empfohlen hat, sondern eher daran, mich merken zu lassen, was mir fehlen wird.«
Clare schwieg einen Moment. »Und wird sie dir fehlen?«
»Ja.« Er wusste, dass sie halb auf eine andere Antwort gehofft hatte, doch zu ihr konnte er nur ehrlich sein. »Hinter uns liegen fünfundzwanzig gemeinsame Jahre. Die Hälfte meines Lebens. Das kann man nicht einfach vergessen. Ich habe vor meiner Familie und Freunden gestanden und geschworen, bei ihr zu bleiben, bis der Tod uns scheidet. Sie hat ihr Versprechen gehalten. Warum sollte sie leiden, weil ich es nicht konnte?«
»Und du liebst sie.«
»Und ich liebe sie. Anders, als ich dich liebe, aber, ja.«
Clare wandte den Blick vom Feuer. Sie schwieg lange Zeit. Endlich sagte sie: »Ich glaube, was dich mit ihr verbindet, ist Liebe. Bei mir ist es das Neue. Ich bin neu und anders, und in den letzten zwei Jahren haben wir uns immer nur kurz gesehen.« So bitter hatte sie noch nie geklungen. »Ich gehe davon aus, dass der Reiz schnell verfliegen würde, wenn wir wirklich Zeit miteinander
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