Wer Mit Schuld Beladen Ist
verbringen würden.«
»Clare.« Er sprang auf und kniete auf dem Läufer vor ihr nieder, hielt sie in ihrem Sessel fest. »Sag das nicht.« Schmerz und Frustration machten seine Stimme rauh. »Sag die Wahrheit. Du weißt Dinge über mich, die nie ein anderer wissen wird, nicht in fünfundzwanzig Jahren, nicht in fünfzig. Du kennst mich. Zum Teufel, wenn ich nur auf ein bisschen Nervenkitzel aus wäre, hätte ich das Ganze doch längst beendet, meinst du nicht? Glaubst du, es gefällt mir, meine Frau zum Weinen zu bringen? Glaubst du, es gefällt mir, Nacht für Nacht wach zu liegen, nur mit der Wahl, entweder sie oder mich zu zerstören? Denn darauf liefe es hinaus, wenn ich dich nie wiedersehen dürfte. Dann könnte ich genauso gut in die Berge laufen und mich hinlegen und den Rest dem Schnee überlassen.«
Sie zitterte unter seinen Händen, und ihm wurde bewusst, dass sie weinte. Er riss sie an sich, zog sie aus dem Sessel, und sie wiegten einander vor dem knisternden Feuer. »Christus, Clare«, murmelte er. »Sag mir, was ich tun soll. Ich kann sie nicht verlassen, und ich kann dich nicht verlassen. Um Gottes willen, sag mir, was ich tun soll.«
Sie stand an einem der Fenster und schaute hinaus. Es schneite weiche, dicke Flocken, die aussahen wie die selbstgebastelten aus Papier, die ihre Nichten jeden Winter an die Scheiben klebten. Er war zum Schuppen gegangen und hatte mehr Holz geholt und dabei die durch Bewegungsmelder gesteuerte Verandabeleuchtung eingeschaltet. Der Schnee wirbelte durch den Lichtkegel und verschwand in der Dunkelheit.
»Wir müssen es beenden«, sagte sie.
»Nein.« Er saß auf dem schimmernden Holzboden, mit dem Rücken zur Wand. Es schien angemessen.
»Doch«, sagte sie. »Ich habe nicht die Absicht, mein Glück um den Preis deiner Ehe zu erkaufen. Und du auch nicht.«
»Ich liebe dich«, sagte er. Sogar in seinen Ohren klang seine Stimme bedrückt. »Soll ich einfach aufhören, dich zu lieben?«
Sie schüttelte den Kopf. »So funktioniert das nicht. Ich wünschte, es wäre so. Dann hätte ich nicht das Gefühl, als bohrte jemand einen Pfahl in meine Brust. Nein. Wir müssen einfach … weitermachen.«
»Das klingt wie dieser kitschige Song von Celine Dion.«
»Ja.« Sie starrte in den fallenden Schnee. »Du weißt, dass es ein schlechtes Zeichen ist, wenn ein Song aus Titanic deine Beziehung beschreibt.«
Sie hatte ihn auf dem Boden abgelöst, den Rücken zur Wand, die Beine vor sich ausgestreckt. Er saß auf der zweiten Stufe von unten auf der Treppe, die zum Dachboden führte. »Nie wieder Mittagessen im Kreemy Kakes«, sagte er.
»Nein«, bestätigte sie.
»Ich werde nicht mehr zum Pfarrhaus kommen, um nachzusehen, ob alles funktioniert.«
»Nein.«
»Aber wir leben in einer Kleinstadt. Wir werden uns immer wieder treffen. Das werden wir nicht verhindern können!«
Plötzlich erfasste ihn ein wilder, irrationaler Zorn auf sie. Es war seine Stadt, verdammt. Er war zuerst hier gewesen. Sie sollte gehen. Er war glücklich gewesen, bis sie aufgetaucht war.
Glücklich wie die Toten in ihren vielgeliebten Gräbern. Unwissend, blind, gefühllos.
»Wie oft triffst du Dr. McFeely, den Geistlichen der Presbyterianer?«
»Äh … keine Ahnung. Hin und wieder bei der Post oder im Supermarkt. Ein paarmal habe ich ihn im Krankenhaus gesehen.«
»Das wird mit mir genauso sein. Weniger. Ich werde demnächst in Glens Falls einkaufen.«
»Aber doch bestimmt nicht bei schlechtem Wetter«, erwiderte er automatisch.
»Das ist mir egal!« Ihre Stimme brach. »Wenn ich es dadurch vermeiden kann, gleichzeitig mit dir einzukaufen oder Briefe aufzugeben, dann tue ich es.« Sie atmete ein paarmal keuchend ein und aus, dann holte sie tief Luft. »Mit ein bisschen Glück treffen wir uns nicht häufiger als ein Mal im Monat. Im Dezember habe ich einen weiteren Jahresvertrag bei meiner Gemeinde unterschrieben. Nächstes Jahr nehme ich meinen Abschied und bitte den Bischof, mich zu versetzen. Vielleicht gehe ich auch einfach nach Hause nach Virginia.« Sie schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand. »Als Pastorin bin ich ein Totalausfall. Ich hätte die Armee nie verlassen sollen.«
Er wollte ihr widersprechen, sagen, dass sie eine wunderbare Pastorin war, und er, wenn überhaupt, nur an Gott glauben konnte, weil er ihn in ihr schimmern sah, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er begriff, dass sie gehen würde.
In einem Jahr oder weniger. Und er würde sie niemals
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