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Wer Mit Schuld Beladen Ist

Wer Mit Schuld Beladen Ist

Titel: Wer Mit Schuld Beladen Ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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das Schwesternzimmer betrete.«
    »Das ist bald Klatsch von gestern, Rachel. Es wird etwas anderes passieren, worüber sie sich die Mäuler zerreißen können.«
    »Es geht nicht nur darum.« Sie beugte sich über die Kommode und wischte mit dem Ärmel ihres Morgenmantels darüber. »Mir wurde eine andere Stelle angeboten.«
    Er zögerte. »Dieselbe wie beim letzten Mal?«
    »Nein. In der Unfallchirurgie am Capital Medical Center.« Sie richtete sich auf. »Das ist das dritte Mal, dass ich wegen einer Stelle angesprochen werde, bei der ich mehr Verantwortung tragen und besser verdienen kann. Ich bin es leid, immer nein zu sagen, damit du erwachsen werden und Russ Van Alstyne spielen kannst.«
    Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Er wusste nicht, was, nur, dass es heftiger und gemeiner sein und sie noch tiefer verletzen würde, als sie ihn verletzt hatte.
    Dann klingelte das Telefon.
    »Dieses Gespräch ist noch nicht beendet«, sagte sie, während sie mit zitterndem Finger auf den Nachttisch wies.
    »Es könnte jemand vom Revier sein.« Er griff nach dem Hörer.
    »Vermutlich der Chief. Ich schätze, er hat jede Menge Zeit, sich seiner Arbeit zu widmen, jetzt, wo seine Frau seinen traurigen Arsch an die Luft …«
    »Hallo?«, meldete er sich.
    »Mark? Ich bin’s, Lyle MacAuley.«
    Mark runzelte die Stirn. Warum rief ihn der Deputy Chief fünf Stunden vor Beginn seiner Schicht an? »Was ist los?«
    »Du musst was für mich erledigen. Kannst du von zu Hause weg?«
    Marks Blick schweifte zu Rachel, die gerade leise fluchend in eine Jeans stieg. »Ja«, sagte er.
    »Du musst den Chief abholen und zum Revier bringen.«
    »Ihn abholen? Ist was mit seinem Truck?« Noch etwas Seltsames fiel ihm auf. »He, hat er heute nicht seinen freien Tag?«
    »Er ist bei seiner Mutter, oben, wo die Old Route 100 den Fluss quert und nach Lake Lucerne weiterführt. Weißt du, wo das ist?«
    »Klar, aber bei diesem Wetter brauch ich eine halbe Stunde, bis ich da bin. Warum …«
    MacAuley unterbrach ihn. »Seine Mutter sagt, er wäre zum Einkaufen gefahren. Er könnte im Kwik sein, aber vielleicht ist er auch die ganze Strecke zum IGA gefahren. Du musst ihn finden, in deinen Untersatz verfrachten und herbringen.«
    Mark starrte aus dem Fenster nach draußen, wo aus dem dunklen Himmel unablässig Schnee fiel. Hinter ihm murmelte Rachel noch immer unheilvolle Kommentare. »Lyle, was, zum Teufel, ist denn los?«
    »Das sag ich dir, wenn du kommst. Und Mark – kein Blinklicht. Lass das Funkgerät ausgeschaltet. Das ist mein Ernst. Schalt nicht mal das verdammte Radio an.«
    »Aber …«
    »Wir sehen uns so bald wie möglich.« Ein Klicken, dann hörte Mark nur noch das zornige Summen einer toten Leitung.
    Er wandte sich zu Rachel. »Ich muss los.«
    »Na klar«, sagte sie. »Hauptsache, du bist mit deiner Arbeit zufrieden. Was könnte wichtiger sein? Bestimmt nicht etwas, was ich zu sagen habe.« Ihre Worte peitschten an ihm vorüber wie der Winterwind, unangenehm, aber nichts, dem er besondere Aufmerksamkeit schenkte, wenn er intensiv nachdachte. Was er gerade tat.
    Was, zum Teufel, ging da vor?

5
    N oble Entwhistle war der solideste und phantasieloseste Beamte, mit dem Lyle MacAuley je gearbeitet hatte. Er war derjenige, der von Tür zu Tür ging, die dreißigseitige Telefonliste abarbeitete, an Radarfallen wachte. Verlangte man plötzliche Eingebungen oder Stegreif-Verhöre, war er nicht besonders gut, doch suchte man nach methodischer Arbeit, suchte man Organisation, suchte man Höflichkeit gegenüber alten Damen, dann war Noble Entwhistle der richtige Mann.
    Lyle hätte nie im Leben damit gerechnet, ausgerechnet ihn zusammengesunken im Schnee zu finden, mit verweintem, rotzverschmiertem Gesicht und unfähig, zu sprechen.
    Noble hatte es drei Schritte aus der Küchentür von 398 Peekskill Road geschafft, ehe er laut schluchzend zusammengebrochen war. Er hatte seine Taschenlampe wieder in den Gürtel gesteckt, jedoch vergessen, sie abzuschalten, und nun flackerte der Lichtkegel im Rhythmus der Schluchzer auf und ab. Dicke Schneeflocken erglühten für Augenblicke und verschmolzen dann zu wachsenden Verwehungen am Boden.
    Bei keinem der drei in der Auffahrt parkenden Streifenwagen brannte die Beleuchtung. Lyle hatte sie über Funk angewiesen, so unauffällig wie möglich zu kommen, nachdem Harlene, ihre Disponentin, ihm Bescheid gegeben hatte. Stattdessen hatte er die Tür des Windfangs weit offen stehen lassen. Warmes Licht

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