Wer Mit Schuld Beladen Ist
Scheinwerfer vom Schnee zu befreien, als sein Handy, das in einer Ladestation in der Küche steckte, eine Reihe schriller Töne von sich gab, um anzuzeigen, dass er eine Nachricht empfangen hatte. Und er war bereits unterwegs auf der Old Route 100, fasziniert von seinen Scheibenwischern, die den dicht fallenden Schnee zur Seite fegten, als seine Mutter vom Esstisch aufstand, um einen Anruf auf ihrem eigenen Telefon entgegenzunehmen, das im Wohnzimmer pausenlos schrillte.
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S päter – viel später – sollte Officer Mark Durkee sich fragen, was geschehen wäre, wenn der Anruf ihn nicht erreicht hätte. Das hätte durchaus passieren können. In der Stunde, ehe Rachel von ihrer Schicht als OP-Schwester im Washington County Hospital nach Hause kam, schob er oft ein Video rein und stellte das Telefon ab. Maddy, ihre Fünfjährige, reagierte auf ihre Disney-Prinzessinnenfilme wie ein Junkie auf den Schuss. Sie rührte sich nicht mehr, bis ihre Mutter eintraf, und bis dahin hatte er ein Stündchen geschlafen und ausreichend Erholung getankt, um eine weitere achtstündige Nachtschicht in seinem Streifenwagen zu überstehen.
Oder er hätte im Kriechkeller unter der Küche kauern können, in einem weiteren Versuch, mit noch mehr Isolation ein Einfrieren der Leitungen in diesem Winter zu verhindern. In dem alten Haus gab es ständig Lecks und durchgebrannte Sicherungen und Risse im Fundament, die repariert werden mussten. Mark hatte vermutlich mehr Geld hineingesteckt, als der Kasten wert war, um ihn so ordentlich wie möglich in Schuss zu halten, doch er hatte gesehen, was der Chief aus seiner Farm gemacht hatte. Zweimal jährlich waren sie alle dort eingeladen, zu Weihnachten und im Sommer zum Grillen, und, verdammt noch eins, wenn dem Chief nicht jedes Mal etwas eingefallen war, um sein Haus noch schöner zu machen. Er war Marks Vorbild.
Selbstverständlich hätte er Maddy zu Rachels Eltern oder ihren Cousinen oder zu ihrer Tante zum Übernachten oder einem Geburtstag oder zum Schlittenfahren bringen können. Hin und wieder beklagte sich Rachel zwar, dass ihre Familie ihr Leben regierte, doch sie hatte noch nie außerhalb ihres großen und großzügigen Kreises gelebt. Er war in einer Familie aufgewachsen, die weder herzlich noch liebevoll war und deren Mitglieder sich so schnell wie möglich in alle Winde zerstreut hatten, um nur durch Weihnachtskarten und seltene Anrufe in Verbindung zu bleiben. Ihm gefiel die Vorstellung, dass Generationen von Bains Cossayuharie zu ihrer Heimat gemacht hatten. Die Zeiten waren mal gut, mal schlecht, die Geschäfte liefen mal besser, mal schlechter, doch sie verloren nie die Tatsache aus den Augen, dass es in allererster Linie auf die Familie ankam.
Und darum ging es im Wesentlichen bei dem lautstarken Streit, den er gerade mit seiner Frau austrug, als das Telefon klingelte.
»Ich kann einfach nicht fassen, dass du mich so hintergangen hast«, brüllte Mark. »Herr im Himmel.« Er wedelte mit dem Brief vor ihrer Nase herum. Schweres Velinpapier mit dem Wappen der New York State Police auf dem Kopf. Er musste keinen Blick mehr auf den Text werfen, um zu wissen, was darin stand. Seit er an diesem Morgen eingetroffen war, hatte er ihn praktisch auswendig gelernt.
Sehr geehrter Officer Durkee, ich habe unser Gespräch bei dem kriminaltechnischen Kongress in Troy sehr genossen. Nach Durchsicht Ihrer Unterlagen, die Sie mir übersandt haben, würde ich Sie gern einladen, sich bei der NYSP zu bewerben, auch in Hinblick auf eine eventuelle Beschäftigung hier bei uns in Troop F …
»Ich habe Captain Ireland meine Bewerbungsunterlagen geschickt? Ich?«
Rachel schloss die Tür des Wohnzimmers, damit Maddy sie nicht hören konnte, ehe sie ihm antwortete. »Um Himmels willen, Mark. Es ist eine Aufforderung, sich zu bewerben, keine Todesdrohung. Ich weiß, dass du nie den Mut aufbringen würdest, deinen Lebenslauf einzureichen, wenn man dir keinen Schubs gibt.«
»Wann wolltest du mir davon erzählen? Ehe du einen Vorstellungstermin für mich vereinbart hattest oder erst hinterher?«
Sie polterte die Treppe hoch. Er folgte ihr. »Was, zum Teufel, ist denn so schlimm an der Polizei von Millers Kill?«, fragte er.
Sie wirbelte auf dem obersten Absatz herum und funkelte ihn an. »Mark, du arbeitest jetzt seit fünf Jahren dort und musst immer noch Nachtschicht schieben.«
Sie verschwand im Schlafzimmer. Er trottete hinter ihr her. Sie streifte ihren Kittel ab und warf ihn in den Wäschekorb
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