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Wer Mit Schuld Beladen Ist

Wer Mit Schuld Beladen Ist

Titel: Wer Mit Schuld Beladen Ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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hier stehen lassen, so lange Sie wollen.«
    Russ kramte in seiner Hosentasche und zog eine zerknitterte Visitenkarte heraus. »In den nächsten fünf Tagen erreichen Sie mich am ehesten über mein Handy«, sagte er, während er sie ihr reichte. »Bitte rufen Sie mich an, sobald Opperman von seiner Geschäftsreise zurückkehrt. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber vielleicht weiß er …«
    Die Eingangstür wurde aufgerissen und ein Schwall eiskalter Luft, durchsetzt mit Schneflocken, drang herein. Ein hagerer Mann, in seinem schwarzen Wollmantel und Schal nicht zu erkennen, stemmte seinen Koffer gegen die Tür, um den Spalt zu erweitern.
    »Wenn man vom Teufel spricht«, meinte Barbara LeBlanc fröhlich.
    Durch die Tür taumelte eine Frau, die in einer Hand eine Reisetasche trug, während sie sich mit der anderen den Mantelkragen zuhielt. Der Mann schloss hinter ihr die Tür. Sie setzte ihre Mütze ab und schüttelte die blonden Locken. Ihre Augen wurden groß, als sie die drei Zuschauer bemerkte.
    »Russ? Debbie?«
    Der Mann – Opperman – wickelte sich aus seinem Schal und verteilte dabei Schnee auf der Abdeckplane.
    »Was, um alles in der Welt, macht ihr denn hier?«, fragte Linda Van Alstyne.

46
    D ebbie brach in Tränen aus. Von Schluchzern geschüttelt und kaum in der Lage, zu gehen, schlug sie eine Hand vor den Mund und streckte die andere nach Linda aus.
    Russ konnte sich nicht bewegen. Unfähig, sich zu rühren, zu atmen, konnte er den Blick nicht von seiner Frau abwenden, von ihrem geröteten, lebendigen Gesicht.
    »Debbie, was hast du denn?« Linda ließ die Reisetasche fallen und eilte zu ihrer Schwester. »Was machst du hier? Ist was mit den Jungs?« Sie breitete die Arme aus, und Debbie ließ sich in ihre Umarmung sinken, noch immer unfähig, zu sprechen.
    »Wir haben geglaubt, du wärst tot«, sagte Russ heiser.
    Linda sah zu ihm auf, einige Haarsträhnen ihrer Schwester schmiegten sich an ihre Wange. »Was redest du denn da?«
    Er stellte fest, dass er sich wieder bewegen konnte, war mit zwei langen Sätzen bei ihr, schlang seine Arme um beide Schwestern, drückte sie so fest an sich, dass Linda aufschrie. »Wir haben geglaubt, du wärst tot«, wiederholte er, und Debbie nickte.
    Tränen und geschmolzener Schnee durchweichten Lindas Schulter.
    »Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, bei uns vorbeizufahren, hätte dir die Haussitterin sagen können, wo ich bin.« Linda klang amüsiert.
    Russ trat einen Schritt zurück, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Audrey Keane ist in unserer Küche ermordet worden. Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten, und ihr Gesicht wurde so entstellt, dass wir nicht wussten, ob du es warst.«
    Lindas blaue Augen weiteten sich, ihr perfekt geschwungener Mund öffnete sich. »Du willst mich auf den Arm nehmen.«
    »Wir haben sie für dich gehalten!« Debbie heulte. »Bis gestern Abend haben wir geglaubt, du wärst es! Ich musste zu eurem Haus, um Kleidung für die – die – für die …« Wieder wurde sie von Tränen überwältigt.
    »Aber … mein Gott, das ist grauenhaft.«
    »Wo bist du gewesen?«
    Der Zorn in seiner Stimme ließ Linda zurückweichen. Sie sah von ihm zum Besitzer des Algonquin, der soeben Mantel und Handschuhe ablegte. »John hat mir sein Haus auf St. Croix überlassen.«
    Als Kind hatte Russ einmal einen Nachmittag damit verbracht, in den rasch fließenden, flachen Gewässern des oberen Hudson herumzuwaten und kleine Zweigkanus über die Kante des nahegelegenen Wasserfalls zu schicken. Als er schlammverschmiert nach Hause kam, weil er auf den Steinen im Schlick ausgerutscht war, hatte seine Mutter ihn angebrüllt und geschüttelt und geschworen, dass er einen Monat Hausarrest bekäme, wenn er das noch einmal machte, und er hatte es nicht verstanden, bis er später herausfand, dass zwei Kinder ertrunken waren, weil sie den Halt verloren hatten und über den Wasserfall in die brodelnden Stromschnellen darunter geschwemmt worden waren. Seine Mutter hatte ihm versichert, dass sie so zornig war, weil sie ihn liebte, doch er begriff nicht, warum sie dann nicht weinte und ihn umarmte und besonders nett zu ihm war, statt ihn ohne Nachtisch und Fernsehen früh ins Bett zu schicken.
    Jetzt verstand er sie. Er packte Linda bei den Schultern, so fest, dass er unter der schweren Wolle ihres Mantels die Knochen spüren konnte. »Du warst in der Karibik am Strand, während ich mir den gottverdammten Obduktionsbericht angehört habe?«
    »Es tut mir leid. Nächstes Mal

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