Wer Mit Schuld Beladen Ist
kleine Küche war dampfgeschwängert, aus der Ecke vernahm Clare die Geräusche der Waschmaschine.
»Ziehen Sie den Mantel aus, sonst sind Sie gleich gar«, sagte Margy. Clare schlüpfte aus ihrem Parka und fand kaum Zeit, ihn über die Lehne eines der Holzstühle zu hängen, ehe sie in einer festen Umarmung versank. »Ich bin froh, dass Sie hier sind, und das ist eine Tatsache«, sagte Margy. »Möchten Sie einen Kaffee? Schattengewächs, fair gehandelt.«
Clare hätte angesichts der Normalität des Ganzen fast gelacht. »Klingt gut«, erwiderte sie.
»Nehmen Sie sich ein Stück Kuchen.« Margy wies zum Tisch, auf dem sich mit Frischhalte-und Alufolie abgedeckte Platten gegen Stapel von Antikriegspamphleten drängten. »Heute Morgen hat der Strom von Lebensmittelgeschenken eingesetzt und hört einfach nicht auf.«
Clares Großmutter Fergusson röhrte in ihrem Hinterkopf: Ich kann nicht glauben, dass du einen Kondolenzbesuch machst und nicht mal einen gekauften Kuchen mitbringst! »Ähem«, sagte sie. »Ich hätte …«
Margy hörte auf, Kaffee in die Maschine zu löffeln, und schüttelte den Kopf, während sie Wasser auffüllte. »Keine Sorge. Wenn ich noch mehr Schüsseln bekomme, muss ich sie draußen in den Schnee stellen.«
Sie nahm zwei Becher vom Abtropfbrett und bedeutete Clare, sich zu setzen. »Ich wusste nicht, ob Sie kommen würden«, sagte sie im selben Moment, in dem Clare herausplatzte: »Ich wusste nicht, ob Sie mich sehen wollen.«
Sie lächelten sich unsicher an.
»Es tut mir leid, Margy, es tut mir so leid.«
Die ältere Frau stellte eine gesprungene und geklebte Zuckerdose auf den Tisch. Darin befanden sich braune Kristalle in der Größe von feinem Kies. »Vielleicht sollten Sie das genauer erklären.«
»Es tut mir leid, dass Linda tot ist. Es tut mir leid, dass … ich zwischen sie und Ihren Sohn getreten bin. Es tut mir leid …« Clares Stimme brach, und sie versuchte, die Tränen zurückzudrängen, die ihr in die Augen schossen. »Es tut mir leid, dass ihre letzten Tage wegen mir unglücklich waren.« Sie hielt sich den Mund zu, aber sie konnte ihr Weinen nicht unterdrücken. Margy legte Clare die Hände auf die Schultern und rieb ihr den Rücken. »Es tut mir leid …«, schluchzte Clare. »Ich bin hergekommen, um Sie zu trösten. Nicht, um …« Wieder schluchzte sie.
»Ihnen scheint ja schrecklich viel leidzutun.«
Die tränenüberströmte, keuchende Clare nickte.
»Lassen Sie es raus.« Margy rieb ihr weiter den Rücken. »Alles rauszulassen ist das Beste für den Körper.«
Und so heulte und schluchzte Clare an Margy Van Alstynes Küchentisch, bis ihre Schluchzer sich zu rasselnden Atemzügen abschwächten und die Tränen versiegten.
Margy hob ihr Kinn an. »So ist es besser, nicht?«
»Ich muff mir die Nafe putfen«, murmelte Clare.
Margy trat zu einem Korb neben dem Trockner und zog ein Taschentuch aus dem Berg sauberer Wäsche. »Sie haben Glück«, verkündete sie, als sie es Clare reichte. Clare schnaubte heftig, während Margy ein Trockentuch unter den Wasserhahn hielt. Dann wischte sie Clare das Gesicht mit kaltem Wasser ab.
»Ich fühle mich wie ein Kleinkind.«
»Jeder muss hin und wieder ein bisschen bemuttert werden.« Margy goss zwei Becher Kaffee ein und setzte sich Clare gegenüber. »Ich vermute, Sie würden gern wissen, wie es Russell geht.«
Clare nickte. »Ja, Ma’am.«
»Er nimmt es schwer, das können Sie sich ja vorstellen. Natürlich versucht er, alles runterzuschlucken. Ich wünschte, er würde sich mal hinsetzen und sich richtig ausheulen, so wie Sie gerade eben.« Sie rührte Zucker in ihren Kaffee. »Jetzt ist er bei der Arbeit. Kaum zu fassen, oder? Er glaubt, es würde ihm bessergehen, wenn er den Täter findet. Mein armer Junge.«
»Gibt es etwas, das ich tun kann?«
Margy sah sie bauernschlau an. »Ich weiß nicht. Gibt es das?«
Clare betrachtete ihren Kaffee. »Ich meinte, ob ich Ihnen irgendwie helfen kann.«
»Ich schätze, ich habe alles ganz gut im Griff. Wir können nichts in die Wege leiten, ehe ihre Schwester hier ist – arme Frau, es hat sie schwer getroffen, als ich ihr Bescheid gegeben habe. Sie und Linda sind als Einzige von der Familie übrig geblieben.«
»Wer soll den Beerdigungsgottesdienst halten?«
»Nun, als junges Mädchen war Linda katholisch, doch solange ich sie kenne, hat sie keine Kirche mehr besucht. Ich denke, ich frage Dr. Tobin. Er ist mein Pastor drüben bei der Center Street Methodist in Fort
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