Wer Mit Schuld Beladen Ist
Ehemann«, stellte Yvonnes Nachbarin zur Linken kategorisch fest.
Die nächste Frau nickte. »Ich habe Linda Van Alstyne nur ein oder zwei Mal getroffen, doch sie schien eine entzückende Frau zu sein. Sie hat viele der hiesigen Frauen in ihrem Unternehmen angestellt, wisst ihr. Frauen, die Arbeit brauchten.«
»Es wäre eine Schande, wenn nichts dabei herauskommt«, tönte Mrs. Marshalls Tischnachbarin so laut, dass es jeder hören konnte. »Ich schätze, die Polizei wird sich schon um die ihren kümmern. Denkt an meine Worte, man wird es vertuschen.«
»Es gibt nichts, was man vertuschen müsste«, protestierte Mrs. Marshall, doch ihre Stimme ertrank in einem Meer von Worten, als alle darüber zu spekulieren begannen, wie und warum der Polizeichef seine Frau ermordet hatte.
Sie hatte sich geirrt. Jemand musste mit Reverend Fergusson darüber reden. Je früher, desto besser.
17
D ie Pastorin von St. Alban’s hatte den restlichen Nachmittag damit verbracht, ihrer neuen Diakonin und ihrem persönlichen Elend aus dem Weg zu gehen. Völlig erschöpft von den Offenbarungen des Vormittags und zittrig, nachdem sie Russ’ Stellvertreter und einen seiner Beamten gesehen hatte, wie diese ihr nachschauten, als sie den Parkplatz des Reviers verließ, hatte sie – schleichen war so ein hässliches Wort, sie zog heimlich betreten vor – es in die Kirche geschafft, ohne gesehen zu werden. Ein kurzes Auskundschaften der Räumlichkeiten überzeugte sie, dass sich weder Lois noch Elizabeth de Groot in der Nähe befanden. Clare eilte in ihr Büro und griff zu ihrem Terminkalender und den Abwesenheitsnotizen. Aus der Sakristei holte sie ihre Reiseausrüstung: eine einfache Lederschachtel mit Hostien, Wein, sauberem Linnen und den silbernen Gerätschaften, die man für die Eucharistie brauchte. Gott-zum-Mitnehmen, wie sie das Ganze manchmal nannte.
Angemessen vorbereitet zog sie los, um sich in den Korridoren des Washington County Hospital und des Altersheims zu verlieren. Father Lawrence hatte während ihrer Abwesenheit die Messen für sie gelesen, doch die Krankenhaus-und Altenheimbesuche waren eine Woche überfällig. Vom Auto aus rief sie kurz ihre Sekretärin an, in der Gewissheit, dass nur der Anrufbeantworter anspringen würde. »Lois, Clare hier. Ich werde den ganzen Nachmittag fort sein« – sie drückte sich bewusst vage aus, für den Fall, dass die de Groot auf die Idee kam, sich ihr anzuschließen –, »doch im Notfall können Sie mich auf dem Handy erreichen. Bitte entschuldigen Sie mich bei Diakonin de Groot. Sie könnten sie bitten, Ihnen bei … bei der Zusammenstellung des monatlichen Gemeindebriefs zu helfen.« Dann holte ihr schlechtes Gewissen sie ein, und sie fügte hinzu: »Zeigen Sie ihr die Terminpläne für Januar und Februar und fragen Sie sie, ob sie an einigen der Komiteeversammlungen teilnehmen kann. Wir wollen, dass alle Gelegenheit bekommen, sie kennenzulernen.«
Im Verlauf der nächsten Stunden, in denen sie die Kranken und Alten besuchte, gelang es ihr hin und wieder, das über ihr schwebende Urteil des Bischofs, ihre neue Aufpasserdiakonin und ihr Unbehagen, ausgerechnet heute in Russ’ Gesellschaft gesehen worden zu sein, zu vergessen. Konfrontiert mit den überwältigenden Bedürfnissen anderer, war es ihr unmöglich, an sich selbst zu denken. Da waren Gillian Gordounston, die gerade erst mit ihrem Mann von Albany nach Millers Kill gezogen war, weil sie dachte, es sei ein guter Ort, um Kinder großzuziehen, nur um dann mit einer Drillingsschwangerschaft das Bett hüten zu müssen, ohne eine Menschenseele zu kennen, abgesehen von ihrem Arzt und der Pastorin der Kirche, die sie genau zweimal besucht hatte; der zwölfjährige Joseph van Eyk, dessen Nieren im letzten Jahr versagt hatten und der zum dritten Mal mit einer Post-Transplantationsinfektion im Krankenhaus lag; Liz Garrettsons alte Mutter, die in der Notaufnahme ein und aus ging, während ihre Tochter und ihr Schwiegersohn erbittert stritten, ob sie zu ihnen oder in ein Heim ziehen sollte. Heute war sie weinerlich und verwirrt, überzeugt davon, dass Männer in ihr Haus einbrachen, um ihre Katzen umzubringen. Und Mrs. Oliver, deren Geist noch mit neunzig Jahren Dorothy-Parker-scharf war, gefangen in einem Körper, der ohne Hilfe weder laufen noch sitzen oder auch nur eine Tasse an die Lippen heben konnte. O ja. Wie stets, wenn sie diente, konnte Clare sich selbst vergessen.
Doch Russ’ Schmerz konnte sie nicht vergessen, seine
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