Wer Mit Schuld Beladen Ist
tödlich getroffen zu sein. Dasselbe Gefühl hatte er jetzt.
»Nur die Ruhe«, mahnte Tucker. »Wir alle wissen, dass das Bockmist ist, doch für Ihre Ermittlungen ist es mit Sicherheit nicht besonders förderlich. Wir müssen eine Lösung für diesen« – zum ersten Mal sah er die Frau an, die während der Diskussion gelassen dagesessen hatte – »Interessenkonflikt finden.«
»Ist sie Anwältin?« Russ war überrascht, dass er überhaupt noch sprechen konnte. »Hat es etwas mit der Haftpflicht der Stadt zu tun? Haben Sie Angst, jemand könnte Sie verklagen, wenn Sie mich nicht aus dem Spiel nehmen?«
»Regen Sie sich ab, Russ.« Der Bürgermeister sprach ganz ruhig. »Die Dame hier ist Investigator Jensen von der staatlichen Strafverfolgungsbehörde.« Sie neigte grüßend den Kopf. »Ich habe gestern Abend mit Captain Ireland von Troop F gesprochen, und er versicherte mir, dass die Ermittlungsbeamtin Jensen die Frau sei, die wir suchen.«
Russ starrte ihn ungläubig an. »Zu welchem Zweck suchen?« Er blickte flüchtig zu Jensen. »Das ist nicht abfällig gemeint, Detective, aber ich habe schon an Mordfällen gearbeitet, als Sie noch lernten, wie man sich die Schuhe zubindet. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, und ich kenne die meisten Einwohner von Millers Kill persönlich und die anderen vom Hörensagen. Was können Sie in diese Untersuchung einbringen?«
Sie hielt einen manikürten Finger hoch. »Objektivität.« Den zweiten Finger. »Die Fähigkeit, nicht als Ihr Mitarbeiter oder Freund, sondern als unbeteiligter Beobachter zu arbeiten.« Den dritten Finger. »Einen zusätzlichen ausgebildeten Ermittler für ein Acht-Mann-Revier, das von diesem Verbrechen an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit getrieben wird.«
»Wir sind durchaus in der Lage, in einem Mordfall zu ermitteln.«
»Ich meinte nicht, dass die ermittlungstechnischen Anforderungen des Falls Sie an die Grenzen Ihrer Leistungsfähigkeit bringen. Ich meinte die psychologischen, die emotionalen Erfordernisse.« Sie beugte sich vor, ihre Hände lagen spinnengleich auf dem Tisch. »Chief Van Alstyne, ich garantiere Ihnen, dass jeder Ihrer Officer mit demselben abscheulichen Gedanken im Hinterkopf herumläuft: Könnte mir das auch passieren? Wird jemand, den ich liebe, der Nächste sein?«
Er räusperte sich. »Es gibt keine Beweise, dass wir es mit einer Art von Muster zu tun haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Darauf kommt es nicht an. Es liegt hier« – sie deutete auf ihr Herz –, »nicht da.« Sie tippte an ihren Kopf.
»Russ, die Entscheidung ist gefallen.« Cameron wirkte nicht besonders glücklich, doch Russ wusste, dass ihn das nicht davon abhalten würde, das zu tun, was er für richtig hielt. »Sie und Ihre Abteilung brauchen Unterstützung, und gleichzeitig muss die Öffentlichkeit erfahren, dass jemand an diesem Fall arbeitet, der nicht persönlich involviert ist. Ich möchte, dass Sie Investigator Jensen zum Revier mitnehmen und größtmöglichen Nutzen aus ihrer Erfahrung ziehen.« Er erhob sich. Die anderen taten es ihm augenblicklich nach. »Wir alle wollen dasselbe. Wir möchten denjenigen, der diese grauenhafte Tat begangen hat, hinter Gittern sehen.«
»Oder auf dem Stuhl in Clinton«, murmelte Eddie Palmer.
Russ trat zur Seite. »Holen Sie Ihren Mantel und Ihre übrigen Dinge«, sagte er zu Jensen. »Ich begleite Sie zum Revier.«
Sie stöckelte auf hohen Absätzen an ihm vorüber. Er hoffte, dass sie vernünftigere Schuhe eingepackt hatte, sonst würde sie sich bis zum Einbruch der Nacht Frostbeulen an den Füßen holen. Die Ratsmitglieder folgten ihr hinaus. Der Bürgermeister wäre mitgegangen, doch Russ legte ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück.
»Ich will nur eine Sache klären. Haben die Gerüchte Sie veranlasst, Captain Ireland in Troop F anzurufen? Oder hat der Rat es Ihnen nahegelegt?«
Cameron wirkte überrascht. »Ich habe Ireland nicht angerufen«, erwiderte er. »Er rief bei mir an.«
19
S ie besaß tatsächlich Stiefel. In der Zeitspanne, die Russ benötigt hatte, um sich vom Bürgermeister einen Tiefschlag versetzen zu lassen – Ich habe Ireland nicht angerufen. Er rief mich an –, war sie in Mukluks geschlüpft und schloss gerade einen mittelgroßen Wintermantel. »Hier entlang«, sagte er und wies mit dem Kopf kurz die Richtung. An das Verlassen des Rathauses und den Weg zum Revier konnte er sich hinterher nicht mehr erinnern. Er war vollauf damit beschäftigt, eine Art
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