Wer Mit Schuld Beladen Ist
hat gut reden. Er soll herkommen und mir einen Drink spendieren.« Lyle beugte sich vor, die Ellbogen auf ein Informationsblatt der Krankenversicherung des Departments und mehrere geöffnete Umschläge gestützt. »Was ist mit Jensen?«
»Sie ist blitzgescheit, ehrgeizig und offensichtlich auf bestem Weg, nach einer brillanten Karriere bei den Strafverfolgungsbehörden und einem erfolgreichen Einsatz als Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft, der erste weibliche Gouverneur des Staates New York zu werden.«
»Echt? Und warum sitzt sie dann in unserer Einsatzzentrale und trinkt den uralten Kaffee von Harlene?«
»Seit sie es vor sechs Jahren zur Ermittlerin brachte, hat sie bei der Abteilung für Gewaltverbrechen, in der Mordkommission und in der Ermittlungsabteilung für interne Dienstaufsicht gearbeitet.«
Lyle verharrte zunächst reglos. Dann schüttelte er den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Wenn sie so scharf darauf ist, für die Staatsanwaltschaft zu arbeiten, muss sie eng mit uns zusammenarbeiten, mit denen, die den Buckel krumm machen, um die bösen Buben zu fangen.«
»Es sei denn, sie will den guten Menschen von New York erzählen, wie sie einen korrupten Polizeichef, der seine Mannschaft in der Tasche hatte, zur Strecke gebracht hat.« Er rollte seinen Stuhl zurück. »Einer der Männer glaubt, ich hätte meine Frau ermordet.«
Lyle schüttelte wieder den Kopf. »Nein.«
»Du bist derjenige, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich logischerweise auch ein Verdächtiger bin.«
»Stimmt, aber doch nur, weil ich dich überzeugen …«
»Das ist egal. Jensen wird mich als Verdächtigen behandeln.« Er erhob sich und ging auf und ab. »Das würde ich tun, wenn ich an dieser Ermittlung beteiligt wäre. Teufel, Lyle, du würdest es auch tun, wenn wir nicht befreundet wären.« Er sah aus dem Fenster. Derselbe Schnee, die gleichen Passanten, dieselben Geländewagen. »Sagen wir, du bist Jensen. Dein Chef beim BCI hat dich hergeschickt, weil er vermutet, dass ich meine Frau umgebracht habe und mein Amt missbrauche, um das zu vertuschen. Du hast alle Indizien gesehen, die wir bis jetzt haben. Hast du etwas gefunden, dass diese Theorie widerlegt?«
»Nein.«
»Hölle, nein. Ich habe für den Zeitraum, in dem der Mord geschah, kein Alibi. Tatsächlich ist der Todeszeitpunkt unklar, weil Meg Tracey die Tür offen ließ und ihr Jungs sie nicht geschlossen habt.«
Lyle senkte den Blick und murmelte etwas.
»Ich mache dir keinen Vorwurf, Lyle, Linda war auch deine Freundin. An diesem Abend waren alle erschüttert. Aber für Jensen wird es nach einer Verschwörung aussehen. Dazu addierst du die Tatsachen, dass mein verschwundenes Messer die Mordwaffe sein könnte und die E-Mails im PC meiner Frau vermuten lassen, dass sie eine Affäre hatte, als sie starb. Du bist Jensen und ermittelst mit der Rückendeckung des Bürgermeisters und des Rats und der geballten Macht des BCI. Was würdest du tun?«
»Dich beurlauben. Möglichst umgehend, wenn ich kann.«
»Sie kann. Du hättest den Rat bei dem Treffen heute Morgen hören sollen. Sie haben mit dem Zaunpfahl gewinkt, damit ich mir eine Woche freinehme.«
»In Zeiten wie diesen wäre es ganz praktisch, ein gewählter Sheriff zu sein. Kein Stadtrat, der in den Kulissen mit deiner Kündigung wedelt.«
»Hm. Du hast also den Chief entlassen, doch du machst dir genauso viele Gedanken über seinen Stellvertreter, weil er die rechte Hand deines Verdächtigen ist. Aber ihn kannst du nicht suspendieren, weil du jemanden brauchst, der das Revier leitet, während du an dem Mordfall arbeitest.«
Lyles Mund zuckte in einer Art Lächeln. »Wenn sie auch nur ein bisschen Ahnung hätte, würde sie Harlene die Leitung übertragen.«
»Du kannst darauf wetten, dass sie Harlene für ein geschwätziges altes Weib hält, das schon vor Jahren hätte pensioniert werden sollen. Was tust du?«
Lyle seufzte. »Ich isoliere ihn. Ziehe ihn von dem Fall ab und sorge dafür, dass alle Ermittlungsberichte als Erstes bei mir landen.«
»Okay. Du und ich können uns vorstellen, in welche Richtung sie die Ermittlungen lenken wird. Jetzt der schwierige Teil: Was wird sie in der nächsten Stunde unternehmen? Und was glaubt sie, was ich tun werde?«
»Was wirst du tun?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich schätze, mir bleiben drei Möglichkeiten: Ich kann nach Hause zu Mom fahren, mich ins Bett verkriechen und erst im Frühjahr oder bei einer Anklage wieder herauskommen, je nachdem, was zuerst
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