Wer Mit Schuld Beladen Ist
die Augen vor allem, was sonst noch läuft?« Lyle sah Mark an.
»Wenn sie auf die Weise, wie ich vermute, Identitäten gestohlen haben, kann ich nicht erkennen, wie sie nichts davon gewusst haben kann«, antwortete der junge Officer. »Pässe, Schecks, Kreditkartenrechnungen finden, das dauert. Was hat sie in der Zeit gemacht? Den Hund spazieren geführt, während er das Haus durchkämmte? Sie muss ihm geholfen haben.«
»Dennis’ frühere Straftaten passen sicherlich zu dem Szenario, das ihr beide entworfen habt«, sagte Lyle. »Mrs. Van Alstyne kommt nach Hause, ertappt die beiden auf frischer Tat, und Dennis … bringt sie zum Schweigen.«
»Meiner Ansicht nach passt das alles ein bisschen zu gut«, sagte Jensen. »Wir haben nach wie vor nichts, das Keane und Shambaugh mit dem Haus der Van Alstynes in Verbindung bringt. Wer weiß, ob Sie nicht von Shambaughs Entlassung wussten, ihn als perfekten Sündenbock erkannten und dann die Szene wie einen Raubmord wirken ließen.«
»Ich habe den Obduktionsbericht gelesen.« Mark eilte seinem Chief zu Hilfe. »Selbst wenn Sie glauben, der Chief könnte seine Frau ermordet haben, hätte er doch auf keinen Fall ihr Gesicht so verstümmeln können.«
»Das macht es sogar umso wahrscheinlicher, dass er es war und nicht der Scheckbetrüger«, schoss Jensen zurück. »Wenn man jemanden im Affekt tötet, schneidet man ihm die Kehle durch und fertig. Wer immer Linda Van Alstyne verstümmelt hat, tat es aus Wut und Hass. Klingt das nach einem Typ, der auf der Suche nach Kontoauszügen anderer Leute Schränke durchwühlt? Oder nach einem Ehemann, dessen Frau sich weigert, gefügig zu sein?«
»Verstümmelt«, sagte Russ.
»Ich glaube, Sie sollten genau jetzt den Mund halten«, giftete Jensen.
»Sie beide haben ›verstümmelt‹ gesagt.« Er hatte einmal einen Film über die Entstehung eines Planeten gesehen – Splitter und Säulen aus Materie und Licht, die ineinanderstürzten, aus einer Dunstwolke zu einem leuchtenden, strahlenden Kern und einer festen äußeren Hülle verschmolzen. Genau das spielte sich jetzt in seinem Kopf ab. »Verstümmelt.«
»Hören Sie, Van Alstyne …«
»Pst«, machte Lyle.
»Was, wenn die Frau in unserer Küche absichtlich verstümmelt wurde? Nicht von jemandem, der mit dem Tod herumspielte, sondern von jemandem, der ihre Identität verschleiern wollte?« Er wirbelte zu Lyle herum. »Ethan Stoner sagte, Audrey Keane wäre eine attraktive Blondine. Er sagte, obwohl sie so alt wie seine Mutter wäre, hätte sie eine tolle Figur. Wie Linda?«
Lyle schüttelte den Kopf. »O nein, Russ. Fang gar nicht erst an …«
»Was, wenn die Frau gar nicht Linda war? Was, wenn es Audrey Keane ist?«
»Russ.« Lyles Stimme klang sanft. »Sie ist es. Ich habe sie dort auf dem Küchenboden gesehen.«
»Was hast du gesehen, Lyle? Eine Blondine mit unidentifizierbaren Gesichtszügen. Wie lange hast du sie angesehen?«
Lyle wandte den Blick ab. »Nicht lange. Ich konnte es nicht …«
»Nicht, dass ich die heiklen persönlichen Aspekte nicht zu würdigen wüsste, die sich aus der Tatsache ergeben, dass ihr Ehemann und ihr Liebhaber für die Untersuchung des Mordes an ihr verantwortlich sind, aber Linda Van Alstyne wurde obduziert, um Himmels willen!« Jensen funkelte sie an. »Solange Sie mir nicht erzählen, dass auch der Pathologe mit ihr ins Bett ging, ist sein Bericht für mich verbindlich.«
»Haben Sie es nicht begriffen?«, herrschte Russ sie an. Er hatte das Gefühl, als würde sich eine Leuchtkugel in seinem Brustkorb ausdehnen. »Emil Dvorak nahm an, dass die Frau, die er obduzierte, meine Frau war. Weil sie schon eindeutig als Linda Van Alstyne identifiziert worden war. Warum also sollte er die zahnärztlichen Unterlagen oder die Fingerabdrücke abgleichen, um ihre Identität festzustellen, da wir doch alle wussten, wer sie war?« Die Leuchtkugel barst, und er hatte das Gefühl, nach oben zu schweben, so leicht zu sein, dass seine Stiefel erstaunlicherweise kaum den Boden berührten. »Die Frau in der Leichenhalle ist nicht meine Frau. Meine Frau lebt.«
29
I nnerhalb von dreißig Sekunden, nachdem sie sich kennengelernt hatten, war Clare überzeugt, dass Oliver Grogan Linda Van Alstyne nur umgebracht hätte, wenn sie einen Volant kunstvoller hätte kräuseln können als er. Der Inhaber von Fransen und Firlefanz war charmant und flirtete gern, und er stand ohne jeden Zweifel fest am anderen Ufer.
» J’adore Linda Van Alstyne«, sagte er,
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