Wer Mit Schuld Beladen Ist
als er Clare zwischen schimmernden, hochbeinigen Tischen hindurchführte, auf denen sich Ballen von Samt und geripptem Seidengewebe stapelten. »Sobald man sie einmal aus ihrem kleinen Haus in der Prärie weglocken konnte, leistete sie wunderbare Arbeit. Haben Sie die Innenausstattung gesehen, die sie für das Algonquin Waters entworfen hat? Zum Sterben schön. Einfach zum Sterben schön. Zumindest, ehe sie verkokelt sind.« Er schob einen Stapel Stoffmuster von einem viktorianischen Sofa. »Setzen Sie sich. Darf ich Ihnen einen Espresso anbieten?«
»Nein danke.« Clare nahm Platz, wobei sie fast einen Strang üppiger goldgrüner Quasten heruntergerissen hätte, die von einem der Balken über ihren Köpfen herabhingen. »Hören Sie, ich möchte Ihnen nichts vormachen. Ich bin nicht hier, weil ich nach Kleinigkeiten für eine Fensterdekoration suche, die Linda für mich entworfen hat.«
»Mein lieber Reverend, das hatte ich auch nicht angenommen. Ich gehe davon aus, dass die meisten Geistlichen so arm wie Kirchenmäuse und zu beschäftigt mit guten Taten sind, um sich wegen alberner, verschwenderischer Dinge wie Innendekoration großartig Gedanken zu machen.«
Sie wischte eine der dicken Quasten zur Seite. Sie war von erlesener Weichheit, die Farben der Stränge flossen wie Wasser. »Ich fürchte, ich habe schlimme Neuigkeiten für Sie. Linda Van Alstyne ist tot.«
Grogan plumpste auf seinen Louis-XIV.-Stuhl. »Sie machen Witze.«
»Es tut mir leid.«
»Gütiger Gott«, sagte er. »Mir auch. Sie war ein großartiges Mädchen. Sie war für mich ebenso Freundin wie Kundin.« Er schüttelte den Kopf. Im weichen Licht der vielen Kronleuchter des Geschäfts schimmerte sein Haar wie eine der Quasten. Sein Gesicht jedoch wirkte plötzlich wesentlich älter. »Was ist passiert?«
»Sie wurde tot in ihrer Küche aufgefunden«, sagte Clare vorsichtig. »Die Polizei ermittelt.«
»Gütiger Himmel. Und wie sind Sie da hineingeraten?«
»Ihre … Familie sucht nach Erklärungen. Ich helfe dabei.«
»Nun, ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen könnte.«
»Hat sie jemals erwähnt, dass sie sich mit jemandem trifft? Einem Liebhaber?«
Grogan zog die Augenbrauen hoch. »Meines Wissens war sie verheiratet.«
»Sie und ihr Mann haben sich vor kurzer Zeit getrennt.«
Er verschränkte die Finger und presste sie an die Lippen, dachte einen Moment nach. »Ich bedaure«, meinte er schließlich. »Mir fällt niemand ein. Wir haben uns unterhalten und E-Mails geschickt, aber es ging meistens nur um den üblichen Klatsch. Soweit ich mich erinnere, war ihre Arbeit das Einzige, woran ihr etwas lag. Ich nehme an, dass einem das furchtbar trivial erscheint, wenn man so wie Sie den ganzen Tag Seelen rettet, doch ihre ganze Leidenschaft galt ihren Draperien. Sie war verzweifelt, als der Brand im Algonquin so viele ihrer Werke zerstörte. Sie ging sofort an die Arbeit, um wiederherzustellen, was verlorengegangen war. Nein, ich muss mich korrigieren. Um zu verbessern, was verlorengegangen war.«
»Ich dachte, das Resort wäre wegen der Renovierungsarbeiten bis Ende Januar, Anfang Februar geschlossen?«
» Bien sûr. Zur Feier der Wiedereröffnung ist ein großer Valentinsball geplant.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme. »Obwohl, wenn man bedenkt, was beim letzten Ball passiert ist, sollten sie ihren Gästen vielleicht lieber Getränkegutscheine aushändigen. Doch das ist Mr. Oppermans Angelegenheit, nicht meine.«
»Linda hat also dort gearbeitet, obwohl die Anlage eigentlich noch nicht wieder geöffnet ist?«
»Nach dem, was sie mir erzählt hat, arbeitete sie hauptsächlich daheim. Doch, ja, gelegentlich war sie auch im Resort. Mit den ganzen verschwitzten, muskulösen Zimmerleuten dort, wer wollte das nicht?«
Dieser Steilvorlage konnte Clare nicht widerstehen. »Ich persönlich interessiere mich nur für einen einzigen Zimmermann.«
Grogan lächelte entzückt. »Und warum auch nicht? Ich sage stets, wenn man jemand Göttlichen findet, sollte man dranbleiben.«
Auf der Fahrt über die Route 9 versuchte sie, Russ auf seinem Handy zu erreichen. Nach drei Versuchen und ebenso vielen Aufforderungen, eine Nachricht zu hinterlassen, gab sie auf und wählte stattdessen die Nummer des Reviers.
Harlenes Stimme begrüßte sie. »PolizeiMillersKillbittelegenSienichtauf.«
Wartemusik ertönte, ehe Clare etwas sagen konnte. Sie nutzte die Pause, um ihre Scheinwerfer einzuschalten. Obwohl es erst kurz nach Mittag war,
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