Wer mordet schon in Franken? - 11 Krimis und 125 Freizeittipps
Gegend geradezu ideal. Fachwerkhäuser aller Art und Renovierungsstand, mit Wein bewachsene Gartenzäune, Hänge voller Rebstöcke, Hügel, der mäandernde Main, den man noch nicht überall gebändigt hatte, Streuobstwiesen.
Ein Jahr nach seiner Reise hatte M. sein Büro in Zeil am Main aufgemacht. Die Stein war froh, dass er nicht in HaÃfurt wohnte. Sie konnte gut mit den Leuten, aber wenn man in ihrem Alter Gehversuche mit der Liebe machte, dann war es sinnvoll, nicht sofort allen alles mitzuteilen. Die Nachbarn würden sich sofort vorstellen, wie Ruth ihren knuffigen Körper in Reizwäsche presste. Ein Frösteln überlief ihren Körper.
Dumm nur, dass die Familie Scherzinger, von der momentan nur Vater und Tochter übrig waren, auch in Zeil lebte. Die Stein fuhr hin. Aktuell gab es zwar keine Neuigkeiten, aber sie hielt den Kontakt zu den Angehörigen der Vermissten für wichtig.
Sie konnte es nicht lassen, nahm die StraÃe durch den Ort und schielte, ohne anzuhalten, auf M.s Büro am Marktplatz 72 . Er hatte sich natürlich den beeindruckendsten Platz in dem Weinstädtchen ausgesucht.
Scherzingers wohnten am Hang, etwas oberhalb des Städtchens, auf dem Weg zum Käppele 73 . Nur Lisa war zu Hause.
»Haben Sie meine Mutter gefunden?«
Die Stein ertrug die immer gleiche Frage schlecht. Sie glaubte nicht mehr daran, dass Annegret Scherzinger gefunden würde. Jedenfalls nicht lebendig. Eine Frau ihrer Persönlichkeitsstruktur verduftete nicht einfach, während die Tochter, die eben noch ihr bestandenes Abitur gefeiert hatte, und der etwas langweilige, aber alles in allem annehmbare Ehemann vor Angst wahnsinnig wurden. Nein, die Stein ging von einem Mord aus. Vielleicht auch von einem vertuschten Unfall. AuÃerdem glaubte sie nicht an den groÃen Unbekannten. Es musste einen dunklen Fleck geben, unter dessen Firnis das Geheimnis um die verschwundene Frau Scherzinger ruhte.
»Leider habe ich keine Neuigkeiten«, erwiderte die Stein. »Darf ich reinkommen?«
Lisa nickte.
Im Wohnzimmer sah alles aufgeräumt aus und so trist wie beim ersten Mal, als Ruth Stein hergekommen war. Ein braunes Sofa, Blumentöpfe mit ausgefransten Grünpflanzen auf dem niedrigen Sims. Raffrollos.
»Ist dein Vater nicht zu Hause?«
Rolf Scherzinger war von seinem Arbeitgeber beurlaubt worden.
»Er ist in Münsterschwarzach 74 . Ausspannen.«
Die Stein runzelte die Stirn.
»Kloster auf Zeit?«
Lisa zuckte die Achseln. Sie war ein blasser Typ mit milchweiÃer Haut und hellblonden Locken, und die Sorgen der vergangenen Wochen hatten sie noch bleicher werden lassen.
»Sag mal, Lisa, ihr hattet vor, in den Urlaub zu fahren? Die ganze Familie?« Ob man wollte oder nicht, fand die Stein, man gewöhnte sich daran, Menschen zu quälen. Die Ermittlungsarbeit erforderte Fragen wie diese. Die Polizei war nicht dazu da, Salbe auf Wunden zu streichen.
Lisa rang um Fassung.
»Ja. Wir wollten nach Ibiza. Zu dritt. Papa wollte das gern. Wir haben schon lange keinen Urlaub mehr gemacht. Nur mal in der Fränkischen Schweiz. Ein paar Tage wandern oder so.«
»Ibiza! Schöne Insel.« Die Stein hatte keine Ahnung von Ibiza. Es zog sie nicht in den Süden. Schon der Gedanke an gleiÃende Sonne und glühenden Sand trieb ihr den Schweià aus den Poren.
Lisa sagte nichts. Sie hatte mit den Tränen zu kämpfen.
»Hattest du denn keine eigenen Pläne? Wenn man gerade Abitur gemacht hat, dann zieht es einen doch mit den Freundinnen weg. Oder dem Freund.«
Lisa hatte keinen Freund. Sie war solo. Seit einem Jahr. Vorher hatte es einen gewissen Bertram gegeben. Einen Studenten. Dem Lisa vermutlich zu kindlich gewesen war.
»Eine Freundin und ich, wir wollten nach Thailand. Zwei Monate rumreisen. Sobald meine Eltern und ich aus Ibiza zurückgekommen wären, hätten wir uns auf den Weg gemacht. Aber ich habe alles abgesagt. Ich kann jetzt doch nicht weg. Kann ich nicht, oder?«
Die Stein wiegte den Kopf, aber dann antwortete sie, was Lisa hören wollte.
*
Sie fuhr zurück nach HaÃfurt, marschierte in ihr Büro, schloss das Fenster, lieà den Rollo hinunter. Im Halbdunkel resümierte sie:
Annegret Scherzinger, 45, am 7. Juni verschwunden. Kein Streit in der Familie, keine Schulden, wenngleich die finanzielle Situation nicht rosig aussah. Rolf Scherzinger war Buchhalter in einer kleinen
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