Wer nach den Sternen greift
attraktive, gebildete Frau war. Insgeheim befürchtete er, dass sie nicht lange bleiben würde, aber er hatte sich getäuscht. Zunächst einmal verbrachte Miss Fisher ein Jahr damit, Bücher zu kaufen und sie einzuordnen.
Später lernte sie den Arzt der Stadt, Don Fisher, kennen und heiratete ihn, arbeitete aber trotzdem weiter in der Bibliothek. Dreißig Jahre lang entschied sie, welche Bücher in Denver gelesen werden sollten, und unter ihrer Leitung wurde die Bibliothek zu einer der bestausgestatteten Sammlungen im Westen.
Annie konnte zwar auch lesen, hatte jedoch keine besondere Neigung dazu. Ihr war es lieber, wenn Frank ihr erzählte, was er Interessantes in der Zeitung gelesen hatte. Sie hatte jedoch nichts dagegen, dass für Sophie eine Gouvernante eingestellt wurde, als sie fünf Jahre alt war. Adam war damals vier und Jerome erst zwei.
Als Sophie sechs war, zogen sie nach New York. Die Villa war komplett eingerichtet, und da sie sich in New York auch neu einkleiden wollten, nahmen sie nur sehr wenig aus Denver mit. Kleider zu kaufen war eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen von Annie. Sie liebte fröhliche Farben und die neueste Mode. Die Damen des konservativen New Yorker Adels kauften sich auch Kleider nach dem neuesten Pariser Chic, aber sie hängten sie erst einmal ein Jahr lang in den Schrank, damit sie nicht mehr so frivol wirkten. Annie jedoch kümmerte das nicht, und sie merkte auch nicht, wie die Gesellschaft über sie die Nase rümpfte. Sie hatte aufregende Freundinnen aus Politiker- und Schauspielerkreisen und gab extravagante Partys, und obwohl Frank davon nicht so begeistert war wie sie, so freute ihn doch alles, was seiner Annie Spaß machte. Er hingegen liebte Opernaufführungen, und wann immer eine neue Oper in der Stadt aufgeführt wurde, ging er hin. Annie begleitete ihn zwar häufig, aber für sie klangen Koloraturen wie Kreide auf einer Schiefertafel.
Die High Society mochte zwar etwas gegen die neureichen Currans einzuwenden haben, aber Frank fiel auf, dass Annie überall Aufsehen erregte. Er kaufte ihr Schmuck bei Tiffany’s, und manchmal entsprach das, was sie um den Hals trug, dem Gegenwert von zehn Jahreslöhnen eines Minenarbeiters. Annie liebte Überraschungen, deshalb gefiel es Frank besonders gut, sich zu überlegen, welchen Schmuck er ihr zu irgendeinem Anlass oder auch nur einfach so schenken sollte.
Eines Abends waren sie in »Carmen«, und Mrs. Stuyvesant Fish rauschte an ihnen vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Annie, die ein zauberhaftes rotes Kleid und eine Feder in ihren prachtvollen blonden Haaren trug, bemerkte es nicht, weil sie gerade Frank anschaute. Sie lachte laut über eine seiner Bemerkungen, und Frank sah, wie Mrs. Stuyvesant Fish verächtlich den Mund verzog.
Am nächsten Morgen ging er zu Tiffany’s und erteilte dort einen Auftrag, der ein ganzes Jahr in Anspruch nahm. Annie erfuhr nie den Grund für das Geschenk, aber er überreichte ihr den Kaschmir-Diamanten, einen birnenförmigen, brillant geschliffenen Stein, der mit seinen siebzig Karat der siebtgrößte Diamant der Welt war. Er hieß so, weil ein indischer Maharadscha ihn aus dem Auge einer Gottheit genommen hatte, um damit den Brautpreis der Frau, die er liebte, der Prinzessin von Haiderabad, zu bezahlen.
So viel zu Mrs. Stuyvesant Fish, dachte Frank.
Mittlerweile war Sophie acht Jahre alt, und Frank beschloss, dass die beiden ältesten Kinder zur Schule gehen sollten. Sophie meldete er auf Miss Shibley’s Mädchenschule an. Wer es sich leisten konnte, erkaufte sich einen Platz an dieser exklusiven Schule, weil Miss Shibley nicht nur vom Schulgeld der vierhundert alteingesessenen Familien New Yorks leben konnte.
Aber Akzeptanz konnte man sich mit Geld nicht erkaufen.
Mittlerweile hatten die Currans in ihrem New Yorker Haus zwölf Dienstboten, und Sophie wurde jeden Morgen mit der Kutsche zur Schule gefahren und um drei Uhr nachmittags wieder abgeholt. Der Kutscher sah, wie die anderen kleinen Mädchen lachend und schwatzend in Gruppen aus dem Schulgebäude kamen, während Sophie immer allein war. Und sie war auch die Einzige, die Bücher dabeihatte.
Bücher waren neben ihrem Vater Sophies einzige Freunde.
Annie und Frank waren zwar sehr beschäftigt, aber für ihre Kinder nahmen sie sich immer Zeit. Sie versäumten es nie, ihnen einen Gutenachtkuss zu geben, und wenn sie abends nicht ausgingen, aßen sie früh, nur um mit den Kindern zusammen sein zu
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