Wer nach den Sternen greift
Sie warf einen prüfenden Blick in den Spiegel und legte ein goldenes Armband mit Amethysten um, das zu den Ohrringen passte. Das Kleid war tief ausgeschnitten, obwohl es nicht bodenlang war, aber sie beschloss, keine Kette zu tragen.
»Mein Vater spielt mit dem Gedanken, sich zur Ruhe zu setzen und hierher zu ziehen.«
»Hierher? Du meinst, nach England.«
»Wenn ich hier sage, meine ich auch hier. Frankreich.«
»Nicht gerade die günstigste Zeit, da der Krieg auszubrechen droht.«
Sie blickte ihn an. »Das hat Philippe auch gesagt, dass es Krieg geben wird.«
»Und wann hat Philippe das gesagt?«
Sie überlegte rasch. »Gestern Abend, beim Essen.«
»Und lässt sich dein Vater von deiner Mutter scheiden?«
Alex zuckte mit den Schultern. Ihr Vater lebte seit zwanzig Jahren mit einer anderen Frau zusammen.
Ob sie das auch könnte? Über Jahre hinweg eine Affäre mit Philippe haben?
»Hast du eigentlich eine andere Frau, Oliver? Nach Mrs. Palmerton?«
Er antwortete nicht.
Aber es war ja auch egal, an ihrer Situation würde es nichts ändern.
Oliver wartete im Flur auf sie. Anerkennend musterte er sie. »Du siehst heute Abend hinreißend aus. Die Farbe steht dir.«
»Du möchtest, dass mir dein Mondrian gefällt, nicht wahr?«
Er lächelte. »Mache ich dir nur dann Komplimente, wenn ich etwas haben möchte? Aber du hast ja sowieso nicht zu bestimmen, wofür ich mein Geld ausgebe.«
»Dann nehme ich es als Kompliment, danke.«
Sie gingen die Treppe hinunter.
»Es ist ein so schöner Abend«, sagte Alex. »Lass uns zu Fuß zur Galerie gehen.«
»Ich dachte, du bist den ganzen Tag gelaufen.«
»Das bin ich ja auch. Es roch nach Flieder und Maiglöckchen, es war himmlisch.«
Nach der Cocktailparty und der Auktion wollten sie in einem Restaurant am linken Seine-Ufer zu Abend essen. Philippe würde auch da sein.
»Wir kommen zu spät, wenn wir zu Fuß gehen. Hier ist auch schon ein Taxi.«
Auf der Fahrt zur Galerie fragte Alex: »Gehört die Galerie der Comtesse?«
»Nein, aber sie und ihr Mann haben Geld hineingesteckt. Ich nehme an, der Comte betrachtet sie als gute Kapitalanlage, weil sie in einem eleganten Viertel liegt.«
»Oder zumindest möchte er seiner Frau damit eine Freude machen.«
Oliver nickte geistesabwesend. Er überlegte sich, wie hoch er auf die beiden Bilder, die er haben wollte, bieten konnte. Ihm war klar geworden, dass er Gemälde mittlerweile mehr begehrte als Frauen.
Er warf seiner Frau einen verstohlenen Blick zu. Heute Abend würden ihn vermutlich wieder viele Leute um seine attraktive Ehefrau beneiden. Wahrscheinlich stellten sie sich vor, wie er anschließend mit ihr ins Bett ginge, aber er hatte nur wenig Verlangen nach ihr. Sie war eine Eisprinzessin, der es an Leidenschaft mangelte. Das Einzige, das ihr wirklich etwas bedeutete, waren ihr Krankenhaus und diese unmoralischen Weiber mit ihren unehelichen Kindern.
Er musste allerdings zugeben, dass sie eine gute Mutter war. Er hatte nicht die Geduld, um so viel Zeit mit den Kindern zu verbringen. Aber trotzdem war er stolz auf sie, selbst auf das kleine Mädchen, obwohl er ihr nie erlauben würde, seinen Namen zu tragen. Es erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung, wenn er jemanden sagen hörte, wie gut erzogen sie waren, wie fließend sie Französisch sprachen. Zu Hause allerdings gestattete Alex ihnen viel zu viele Freiheiten, und das machte ihn rasend. Kinder durfte man sehen, nicht hören.
Lina machte ihm mehr Freude als die Jungen, und er vergaß oft, dass sie nicht sein Kind war. Sie konnte ihn um den kleinen Finger wickeln.
Und Michael, nun ja, er war ja erst vier Jahre alt und allzu viel konnte man über ihn noch nicht sagen, aber vielleicht würde er später einmal die Liebe seines Vaters für die Kunst teilen, denn er malte sehr gerne. Er betrachtete auch die Gemälde in Olivers Studierzimmer eingehend und hockte sich dann davor, um sie abzumalen.
Hugh war schwieriger. Oliver merkte, wie sehr sich der Junge bemühte, ihm zu gefallen. Er war sehr gut in der Schule, aber das bedeutete Oliver nicht so viel, das machte eher Alex Freude. Es freute ihn hingegen, dass der Junge gut im Polospiel war, obwohl das wohl mehr mit der Liebe zu seinem Pferd als mit dem Sport zu tun hatte. Oliver hatte seinem Sohn auch Schießen beigebracht, und Hugh war ein guter Schütze geworden, aber er jagte nicht gerne, und Oliver verspürte immer wieder das Bedürfnis, den Jungen zu packen und zu schütteln, weil er so anders
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