Wer nach den Sternen greift
Die Herzogin stickte, der Herzog las, und Alex hatte nichts zu tun.
Heute Abend jedoch erklärte ihr die Herzogin: »Wir verreisen morgen über das Wochenende. Danach fährt der Herzog in die Schweiz, und ich bleibe bis Mittwoch in London, weil ich einige Dinge erledigen muss.«
Fünf Tage lang allein? Was um alles in der Welt sollte sie hier tun? Leise Panik stieg in Alex auf. Aber dann dachte sie, vielleicht kommt ja Oliver zurück, und wir haben das ganze Haus für uns. Vielleicht lebte dann ja das Gefühl wieder auf, das sie während der Flitterwochen ab und zu gespürt hatte. Er hatte nicht viel mit ihr geredet, aber manchmal, wenn er sie in den Armen gehalten hatte, hatte sie gedacht, dass er vielleicht doch etwas für sie empfände. Natürlich brauchte es Zeit, um eine Beziehung aufzubauen, und sie standen ja erst am Anfang. Es war ein Wunder, dass ihr die Ehe überhaupt als wünschenswert erschien, denn ihre Eltern waren ihr kein gutes Vorbild. Sie hatten sich nie berührt, zumindest nicht in Alex’ Gegenwart. Ihr Vater schlief gegenüber vom Zimmer ihrer Mutter, im kleinsten Schlafzimmer im Haus, und sie wusste, dass ihre Ehe nicht so glücklich war wie die ihrer Großeltern. Sie hatte sich oft gefragt, was ihre Eltern überhaupt zusammengeführt hatte. Viele Jahre lang hatte sie Mitleid mit ihrem Vater gehabt, der wie ein Schatten in seinem eigenen Haus herumschlich, obwohl sie wusste, dass er zu den Männern gehörte, die die Wall Street beherrschten und damit das ganze Land. Sie konnte zwischen dem Mann, den sie von zu Hause kannte, und dem Mann, dessen Name so oft in der Zeitung stand, nie eine Verbindung herstellen. Sie sah keine Stärke bei ihm. Sie liebte seine Sanftheit und Freundlichkeit, den Mann, der mit ihr zum Schlittschuhlaufen in den Park ging, der mit ihr über Bücher redete und ihr vor dem Schlafengehen wundervolle, aufregende Geschichten erzählte. Das hatte er natürlich schon seit Jahren nicht mehr gemacht, denn seit sie vierzehn oder fünfzehn war, hatte ihre Mutter ihr Leben beherrscht, und es hatte so ausgesehen, als ob sie ihn absichtlich daraus ausschloss. Und mittlerweile sagte ihr Vater kaum noch etwas. Es mochte sein, dass er die Finanzwelt beherrschte, aber zu seinem häuslichen Leben hatte er kaum etwas beizusteuern. Mit ihren Brüdern war ihre Mutter nicht annähernd so autoritär umgegangen wie mit Alex. Sie durften mehr oder weniger tun, was sie wollten, solange sie die Regeln befolgten, die Sophie für wichtig hielt.
Seltsamerweise hatte ihr die Mutter jedoch keinen Hinweis darauf gegeben, wie sie sich im Eheleben verhalten sollte. Vielleicht hatte Sophie ja gedacht, dass Oliver oder die Herzogin ihre Rolle übernehmen würden. Und sie hatte bestimmt nicht damit gerechnet, dass Oliver einfach verschwinden und sie in diesem Schloss mitten auf dem Land allein lassen würde.
Dabei hatte sie eigentlich noch nicht einmal allzu viel von der Ehe erwartet. Sie war zwar eine unverbesserliche Romantikerin, aber die wenigen Momente der Leidenschaft hatten nicht die Erinnerung daran ausgelöscht, wie Harry sie angeschaut, wie sein Mund sich auf ihren Lippen angefühlt hatte. Oliver behandelte sie mehr wie ein Kind, ein Kind, das ihn manchmal sogar sexuell erregte, dessen Verhalten ihm aber größtenteils zu unreif war.
Und sie war mit ihren beinahe neunzehn Jahren auch noch nicht so reif. Sie war immer noch das Mädchen, das sich von seiner Mutter vorschreiben ließ, wie es sich benehmen, was es anziehen und denken sollte. Jetzt jedoch war Sophie nicht hier. Ihre Mutter hatte sie mit voller Absicht weit weg geschickt, über einen Ozean, der Alex von allem trennte, was sie kannte. Ob ihre Mutter sie wohl vermisste? Was blieb ihr denn jetzt noch, wo es niemanden mehr gab, den sie beherrschen konnte?
Was sollte sie nur tun? Ihre Mutter hatte sie nicht auf diese Art von Leben vorbereitet. Nun, sie würde ein anderes Mal darüber nachdenken. Morgen würde sie sich erst einmal den Besitz ansehen, auf dem sie jetzt lebte. Irgendwie musste es ihr gelingen, hier Fuß zu fassen.
21
S cully zog die Augenbrauen hoch, als Alex am nächsten Morgen drei Minuten nach acht Uhr auftauchte. Er stand an der Anrichte, auf der Schüsseln mit Porridge und Rühreiern warm gehalten wurden, und schenkte sich gerade seine zweite Tasse Tee ein.
Sie trug eine Hose und eine zerknitterte apfelgrüne Bluse, außerdem ihre Moleskin-Jacke und ein Paar warme Handschuhe. Sie wusste zwar, dass sie dringend eine
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