Wer nicht küsst, der nicht gewinnt: Roman (German Edition)
musterte mich neugierig über den Zaun hinweg. »Hast du Ärger mit jemandem?«
»Äh, nein. Ich habe nur … mit Dad gesprochen«, sagte ich wenig überzeugend, und sie versuchte, über meine Schulter hinweg etwas hinter mir zu erspähen. »Er ist in der Garage«, fügte ich hinzu. Im selben Moment kam er ums Haus herum, die Autoschlüssel in der Hand.
»Ich bin dann weg, fahr zur Arbeit«, sagte er mit einem Winken. Woraufhin Mrs. Pilling mir einen merkwürdigen Blick zuwarf.
»Dir ist da etwas runtergefallen.«
Ich blickte mich um und sah, dass das Foto mit der Vorderseite nach unten im Gras lag. »Danke.«
Ich eilte hin und hob es auf, aber irgendetwas in mir sträubte sich, es genauer anzusehen. Als würde ich eine Brille brauchen, kniff ich die Augen zusammen und hielt es dann erst dicht vors Gesicht.
Es war ein ziemlich schlechtes Schwarz-Weiß-Foto von einer frettchenartig aussehenden Frau in den Vierzigern. Ihr Haar wirkte strohig, ihre Miene erschöpft. In einem viel zu großen Männermantel saß sie auf einer Parkbank und hielt ein zerfleddertes Taschenbuch in der Hand. Einen Teil des Buchtitels konnte ich entziffern: »Der Kampf gegen die Depression und …«
Auf die Rückseite hatte jemand mit schwarzer Tinte geschrieben: Sasha Treadwell, geborene Clayton. Finden Sie, dass sie glücklich aussieht? Vermutlich stammte der Kommentar von Elliot.
Meine Finger waren plötzlich kraftlos, das Foto segelte wieder zu Boden. Meine Zähne klapperten. Dabei hatte die Sache nichts Dramatisches an sich. Im Internet stellten die Menschen allen möglichen Unsinn mit Fotos an. Erst vor einer Woche hatte mir selbst Rosie eine Aufnahme von sich gemailt, mit Afrolook, riesiger Brille und der Bildunterschrift: »Ich in den Siebzigern!«
Völlig ausgeschlossen, dass es sich bei der trostlosen, verwahrlosten Hexe auf dem Bild um mich handeln sollte.
14. Kapitel
»O mein Gott, Sasha. Das bist ja wirklich du!« Rosie starrte auf das Foto mit vor Aufregung weit aufgerissenen Augen. »Ich kann es noch gar nicht fassen, dass er dir weiterhin erscheint«, quiekte sie. »Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen. Was genau wollte er dieses Mal?«
»Wie ich schon sagte, nichts Besonderes. Es war nicht so wie zuletzt«, erklärte ich ungeduldig. »Schau doch nur, in was für einem Zustand die ist.« Ungläubig tippte ich mit dem Finger auf das Foto. »Ich würde mich nie so gehen lassen.«
Rosie betrachtete meine Jeans mit den ordentlichen Bügelfalten und meine polierten Schuhe. »Natürlich würdest du das nicht«, sagte sie sanft. »Das Leben hat es wohl nicht gut mit dir gemeint, aber ich erkenne dich trotzdem eindeutig wieder.« Erneut beugte sie ihren Kopf über das Bild. »Es muss an deiner Ausstrahlung liegen.«
»Du siehst nur, was du sehen willst.« Ich entriss ihr das Bild, als wäre es eine geladene Waffe. »Deine Brühe kocht über.«
Gerade noch rechtzeitig rannte sie zum Herd. Einer unserer Aufträge war in letzter Minute abgesagt worden, und so hatte sie Glens Familie eingeladen. »Und du weigerst dich zu sehen, was du nicht sehen willst«, sagte sie und wedelte mit der Hand den Dampf beiseite. »Hat Elliots Großmutter nicht erzählt, dass er Fotograf sei?«
Mein Magen krampfte sich zusammen. »Aber das hier sieht nicht gerade nach einer Studioaufnahme aus, oder täusche ich mich?« Widerstrebend betrachtete ich das unscharfe Bild. »Da muss er wohl mit einem großen Teleobjektiv im Busch gelauert haben.« Die Vorstellung, dass irgendjemand meinem zukünftigen Ich hinterherspionieren könnte, überstieg mein Fassungsvermögen. »Wer sagt denn überhaupt, dass ich unglücklich bin? Sollte ich tatsächlich die Person auf dem Foto sein, was mit ziemlicher Sicherheit nicht der Fall ist, könnte er mich an einem schlechten Tag erwischt haben. Und das Buch muss ja nicht mir selbst gehören.«
»Ob er wohl mit dir gesprochen hat? In der Zukunft, meine ich.« Rosie war vollkommen aufgekratzt. Für meinen Geschmack hatte sie eindeutig zu viel Spaß an der Sache. »Vielleicht bist du genauso erpicht darauf wie er, den Zeitstrahl zu korrigieren, damit ihr endlich zusammenkommt.«
»Rosie, du müsstest dich mal reden hören«, stöhnte ich. »Er ist auf nichts weiter aus, als mich so weit unter Druck zu setzen, dass ich ihm aus seiner Lage heraushelfe.«
»Was er wohl für ein Sternzeichen ist?«, fragte sie sich verträumt.
»Vollidiot?«
Ihre Miene war so ulkig, dass ich lachen musste.
»Was gibt’s denn hier
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