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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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schließt und die Instrumente aus nächster Nähe unter die Lupe nimmt. Er bewegt den Steuerknüppel, drückt ein paar Knöpfe und stellt sich vor, wie es sein müsste, selbst die Manöver in
die Luft zu zeichnen, die er sonst mit seinen Modellen fliegt. Noch immer ist keiner da.
    Schließlich ist er so versunken in das, was er vor sich hat, dass er nicht bemerkt, wie die Flugschüler aus der Pause zurückkehren. Die sehen, dass jemand im Flugzeug sitzt, denken, dass das wohl einer von ihnen sein müsse, klinken das Startseil ein und halten die Fläche hoch. Alles ist bereit für den Start. Als der Junge im Cockpit registriert, was um ihn herum geschieht, ist es schon zu spät. Der Mann an der Fahne gibt das Signal, das Seil wird straffgezogen und der Junge in den Himmel gezogen. Während sein Flugzeug noch am Seil hängt, springt das Bild auf den Fluglehrer, der im Geiste gerade seine Schäfchen durchgeht. Und der sich, als er merkt, dass seine Schüler vollzählig vor ihm stehen, die Frage stellt: Wer sitzt denn dann im Flieger? Aus der Schulungstruppe sind alle am Boden. Also muss es ein anderer sein. Der Fluglehrer stürzt zum Funkgerät, nimmt Kontakt zu dem Jungen auf und erklärt ihm genau, was er zu tun hat.
    Es war weniger die Geschichte, die auf mich so eine Anziehungskraft ausgeübt hat, als vielmehr die Aufnahmen aus der Luft, die mich tief berührt haben. Denn die sahen exakt so aus, wie ich mir den Blick hinunter auf die Erde weit unter mir während meiner Traumflüge immer vorgestellt hatte. Da war mir klar: Das muss ich lernen. Also erklärte ich meiner Mutter: »Ich will Segelfliegen lernen.« Ihre Antwort: »Was spricht dagegen? Na, eigentlich gar nichts.« Die Frage war nur, ob wir uns das würden leisten können.

    Weil wir zu dieser Zeit noch kein Telefon im Haus hatten, rief sie am nächsten Tag von ihrem Büro aus in einer 25 Kilometer entfernten Segelflugschule an. Man erklärte ihr, ich sei für einen regulären Lehrgang noch zu jung, der sei erst ab 16 möglich, ich könne aber einen Schnupperkurs absolvieren und so lange mit einem Lehrer fliegen, bis ich alt genug sei. Die Kosten dafür hielten sich im Rahmen.
    Am darauffolgenden Wochenende fuhr ich mit dem Fahrrad zum Flugplatz, setzte mich hinter den Lehrer auf den Rücksitz eines doppelsitzigen Segelflugzeugs und legte gemeinsam mit ihm meinen ersten Flug zurück. Ich war allerdings nicht besonders beeindruckt von dem, was ich in der Luft erlebte. Entsprach es doch exakt dem, wie ich mir ein solches Erlebnis immer vorgestellt hatte. Ich hatte die ganze Zeit eher den Eindruck, ich würde das alles schon kennen.
    Eine Empfindung jedoch war extrem stark, mein Gefühl von Heimat. Ich spürte ganz deutlich: Da oben in der Luft, da bin ich wirklich zu Hause. Wenn mich etwas überraschte, dann vielleicht, wie genau und perspektivisch richtig ich mir in meinen Träumen den Blick von dort oben vorgestellt hatte. Als ich wieder aus dem Cockpit stieg, hatte ich es schwarz auf weiß oder vielmehr: (himmel-)blau auf (landschafts-)grün, dass Luft mein natürliches Element ist. Und ich wollte lernen, mich darin ganz allein bewegen zu können.
    Es dauerte dann allerdings noch einige Zeit, bis ich das Handling eines Segelflugzeugs beherrschte. Mein Talent stand leider im umgekehrten Verhältnis zu meiner
Überzeugung, ein Vogel zu sein. Weil ich in den Jahren zuvor sportlich nicht aktiv war, hatte ich keine ausgeprägten motorischen Fähigkeiten entwickelt. Sport war in unserer Familie nicht existent, ich tat mich deshalb schwer, ein Gefühl für meinen Körper zu entwickeln. Doch wer kein Gefühl für den eigenen Körper hat, kann sich als Vogel nicht wirklich frei bewegen, weil er sich mit der Koordination schwertut. Man weiß ja nicht, wie man die Flügel bewegen soll, die im Grunde nichts anderes sind als die Verlängerung der eigenen Arme. So musste ich meine Motorik fürs Segelfliegen erst Schritt für Schritt entwickeln.
    Mein erster Alleinflug war entsprechend nervenzerfetzend. Der fand genau an meinem sechzehnten Geburtstag statt. Wir waren gerade von einem gemeinsamen Flug zurückgekehrt, als mein Lehrer zu mir sagte: »So, und nun fliegst du diese Runde noch einmal allein.« – »Meinst du, dass ich das schon kann?«, fragte ich zaghaft zurück. »Ja«, antwortete er, »das kannst du.«
    Ich spüre noch immer das Zittern in den Knien, wenn ich nur daran denke. Ich schließe die Haube des Cockpits. Das Seil, das mein Flugzeug mit dem

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