Wer nichts hat, kann alles geben
Segelflugzeug wie im »normalen« Leben. Ich setze diesen Begriff in Anführungszeichen, weil für mich das richtige Leben eigentlich das in der Luft ist. Es ist das auf festem Boden, das mir oft genug unnormal und unnatürlich vorkommt.
Damit machte ich schon relativ früh eine Erfahrung, die mir später auch in vielen anderen Lebensbereichen immer wieder half: mich auf Situationen einlassen zu können, deren Ende nicht absehbar ist, im Bewusstsein,
dass ich sie zu einem guten Ende führen kann. Diese Fähigkeit hat mit Talent wenig zu tun, es ist keine Frage der Begabung oder der Gene. Es kommt vielmehr darauf an, die Bereitschaft zu entwickeln, sich dem Unbekannten zu stellen und es so zu beeinflussen, dass es sich nach den eigenen Wünschen entwickelt, komme, was da wolle. Und darauf, Alternativen bereitzuhalten für den Fall, dass etwas Unvorhergesehenes geschieht.
Es ist auch eine Frage des Vertrauens darauf, dass die Sache, die vor einem liegt, gut ausgeht, und dass man in den entscheidenden Momenten schon das Richtige tun wird. Das Segelfliegen ist dafür ein gutes Training. Es geht ja in den seltensten Fällen um Leben oder Tod, wenn man im Segelflugzeug sitzt, sondern darum, ob es einem bei einem Streckenflug gelingt, den Ausgangs- oder einen Zielflugplatz zu erreichen oder ob man auf einer Wiese landen muss, auf der es ordentlich hoppelt und rumpelt und von der der Rücktransport dann etwas beschwerlicher wird.
Keine Frage: Es ist sicherer, die Grenzen des Bekannten nie zu überschreiten oder, als Segelflieger, nie zu überfliegen. Man kann Runde um Runde um den eigenen Flugplatz drehen, in ständigem Sichtkontakt zum vertrauten Terrain und muss dabei zu keiner Sekunde ein Risiko eingehen. Doch hätte ich damals nicht den Mut gehabt, das mir vertraute Gebiet zu verlassen, wären mir die schönsten Momente entgangen, die dieser Sport zu bieten hat.
Es kostet Überwindung, manchmal muss man seinen ganzen Mut zusammennehmen, um eine Entscheidung
zu treffen, deren Konsequenzen man noch nicht ganz abschätzen kann. Doch es sind gerade diese Entscheidungen, die einem später die größten Glücksgefühle bescheren. Als ich am Ende meines erfolgreich absolvierten Silber-C-Fluges den Flugplatz von Schärding vor mir auftauchen sah, war ich der glücklichste Mensch der Welt.
Die Faszination des Segelfliegens besteht für mich aber nicht im bloßen Abspulen von Flugkilometern. Der große Reiz liegt im Bergfliegen. Ich liebe die Berge. An oder über ihren Hängen und Gipfeln zu fliegen gibt mir das Gefühl, mich im völligen Einklang mit der Natur zu befinden. Es sind die schroffen Gesteinsformationen, die mich so faszinieren, genauso wie die wunderbaren Farben in der Landschaft und die überwältigende Weitsicht.
Ich genieße es, die Aufwinde zu spüren, diese unsichtbaren Luftbewegungen, die zum Beispiel dadurch entstehen, dass erwärmte Luftmassen aufsteigen. Ein Segelflugzeug kann sich in einem solchen Luftstrom – die Piloten sagen dazu »Bart« – kreisend nach oben drehen wie ein Auto, das im Rondell eines Parkhauses Stockwerk um Stockwerk erklimmt. Ein gelungener Segelflug besteht für mich deshalb darin, mich von Aufwind zu Aufwind zu hangeln, ständig auf der Suche nach dieser unsichtbaren Energie, die es mir ermöglicht, an Höhe zu gewinnen, und den Flug dann von dieser neuen Höhe aus allmählich abgleitend fortzusetzen.
Als ich dieses Prinzip entdeckte, war es mir, als würde ich in eine neue, mir bis dahin völlig unbekannte Welt
eintauchen. Im Laufe der Zeit lernte ich, woran man thermische Aufwinde erkennen kann. Wichtige Indikatoren dafür sind die Wolken. Die verraten einem geschulten Blick oft die Geschichte ihrer Entstehung. Eine Kumuluswolke zum Beispiel, die aussieht wie ausgelaufene Schlagsahne, hat in der Regel folgenden Ursprung: Durch die Sonneneinstrahlung wird der Boden an verschiedenen Stellen unterschiedlich stark erwärmt, ein Felshang in der Sonne erwärmt sich stärker als ein Schneefeld oder ein See. Der Boden gibt diese Wärme an die Umgebungsluft ab. Wenn ein bodennahes Luftpolster nun wärmer ist als die Umgebungsluft, steigt es auf. Die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit kondensiert in einer gewissen Höhe, so dass eine Wolke entsteht. Ob es darunter allerdings tatsächlich noch einen Aufwind gibt, weiß man als Segelflieger erst, wenn man dorthin geflogen ist, denn die Wolke erzählt ja nur, was war.
Wenn sich die Wolke aufgelöst hat, kann man daraus in der Regel
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