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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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Motorflugzeug verbindet, wird eingeklinkt. Gleich wird es mich nach oben ziehen. Ich bewege noch einmal alle Ruder, gebe das Zeichen, dass ich bereit bin zum Start. Die Helfer halten meine Fläche waagrecht, damit eine Seite während des Anziehens nicht über den Boden schleift. Segelflugzeuge stehen nur auf einem Rad und kippen deshalb auf eine Seite, wenn sie niemand festhält.
Dann spüre ich, wie sich das Seil strafft, das Motorflugzeug beschleunigt und uns ganz sanft in die Luft hebt.
    Das ist ein ganz besonderer Moment, wenn die Strömung am Flügel anliegt, die Ruder zu wirken beginnen und dann, wie von Engelshänden getragen, der Flieger abhebt. Das Schleifen der Kufe verstummt, das Rad in der Mitte dreht noch zwei-, dreimal durch. Dann wird es still, man hört nur noch das Motorflugzeug vor einem und das Rauschen des Windes um einen herum. Kein Fluglehrer, der hinter einem sitzt und etwas nach vorne ruft. Keine Ablenkung.
    Das Nachfliegen hinter dem Motorflugzeug bedarf einiger Konzentration, man soll es nicht übersteigen, man soll es nicht unterfliegen, sondern in der Spur bleiben und einfach dem Seil nachfliegen, um das Motorflugzeug nicht permanent in irgendeine Richtung zu ziehen. In etwa vierhundert Metern über Grund kommt dann der Zeitpunkt, wo man das Seil ausklinken muss. Diesen Zeitpunkt selbst zu bestimmen, gibt einem noch einmal einen richtigen Kick. Man greift zum Knauf, zieht daran – und mit einem Klack fällt das Seil weg. Man klinkt noch einmal nach, damit man sicher sein kann, nicht mehr mit dem Schleppflieger verbunden zu sein. Dann sieht man, wie das Motorflugzeug einen Abschwung macht und zurück zum Boden fliegt. Mit einem Mal ist es komplett still, weil jetzt auch das Propellerbrummen verschwunden ist. Man blickt nach unten, dort sieht alles wie gewohnt aus – und ist doch ganz anders.

    Mein erster Alleinflug war ein feierlicher Akt. Ich drehte nur eine kleine Runde rund um unseren Segelflugplatz, heute würde ich dabei wahrscheinlich einschlafen, weil mir ein solcher Flug unfassbar langweilig vorkäme. Damals aber war er das Größte, was ich in meinem Leben je erlebt hatte: Endlich konnte ich mich frei wie ein Vogel bewegen! Das Flugzeug gehorchte – mehr oder weniger – meinen Anweisungen, doch es fühlte sich alles so natürlich an, so leicht und selbstverständlich, dass ich keine Sekunde lang Angst spürte. Ich schwebte durch die Luft, als hätte ich in meinem Leben nie etwas anderes getan. Ich setzte das Flugzeug mit dem Gefühl auf der Erde auf, einen kurzen Blick ins Paradies gewagt zu haben. Nun war ich ein Vogel, der zum ersten Mal sein Nest verlassen hatte.
    Von da an verbrachte ich jede freie Minute auf dem Segelflugplatz, oft genug fuhr ich auch bei Nebel dorthin in der Hoffnung, er würde sich irgendwann lichten. Auch wenn ich unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren musste, grämte ich mich nicht. In meinem zweiten Jahr – zwischenzeitlich hatte ich den Segelflugverein gewechselt, um nicht mehr so weit radeln zu müssen – kam ich bereits auf über 200 Flugstunden und durfte die erste Leistungsprüfung absolvieren, genannt Silber-C. Dazu muss man eine Strecke von 50 Kilometern zurücklegen, mindestens fünf Stunden in der Luft bleiben und an einem anderen Ort als dem Heimatflugplatz landen.
    Die Flugdauer war dabei nicht das Problem, mich aber vom gewohnten Terrain zu entfernen, kostete mich
große Überwindung: Man weiß, man fliegt weg und kommt nicht mehr auf den Flugplatz zurück, den man kennt. Man wird irgendwo anders landen, auf einem anderen Flugplatz, einer Wiese – egal wo. Das ist eine ganz neue Herausforderung. Ich brauchte drei Anläufe, um mich zu überwinden. Bei den beiden Malen davor hatte ich noch jeweils abgebrochen, weil der Himmel vor mir nicht gut ausgesehen und ich mir gedacht hatte: »Komm, da fliegst du sicherheitshalber lieber wieder zurück.« Als ich den Absprung dann endlich schaffte, kam ich ganze 67 Kilometer weit und landete auf dem Flugplatz von Schärding, einer oberösterreichischen Kleinstadt.
    Während des Fluges war nicht immer abzusehen gewesen, ob ich es wirklich bis dorthin schaffen würde, es hätte auch eine Wiese irgendwo dazwischen sein können. Dass ich dabei aber trotzdem ruhig blieb und immer weiterflog, ganz im Vertrauen darauf, zur richtigen Zeit schon die brauchbaren Außenlandewiesen oder Flugplätze zu finden, zeigte mir, dass ich keine Angst mehr zu haben brauchte vor dem, was vor mir lag – im

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