Wer nichts hat, kann alles geben
sehr peinlich. Damals aber war es eine leichte Möglichkeit, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, und ich war naiv genug, mir die Zeitung vom Chef unserer Drückerkolonne schönreden zu lassen. Mit dem dabei verdienten Geld konnte ich auf meinem Weg in die größtmögliche Freiheit den nächsten Schritt tun: Ich kaufte mir mein eigenes Segelflugzeug.
Nach einem Zwischenfall in meinem Verein war klar, dass ich nicht länger mit Flugzeugen in die Luft gehen wollte, die nicht mir gehörten. Was war passiert? Zum Ende eines intensiven Flugsommers, ich war inzwischen zwanzig Jahre alt, wollte ich einen der letzten
Flüge der Saison absolvieren. Die Bedingungen waren schwierig, die Thermik zerrissen und rar. Nach etwa fünfzig Kilometern war mir klar, dass ich den Heimatflugplatz nicht mehr erreichen würde. Ich steuerte deshalb einen anderen Flugplatz an, um dort zu landen und mich von einem Motorflugzeug zurückschleppen zu lassen.
Als ich in Sichtweite dieses Flugplatzes war, merkte ich, dass ich es nicht einmal mehr bis dorthin schaffen würde – eine Hochspannungsleitung versperrte mir den direkten Anflug. Also bereitete ich mich auf eine Außenlandung vor, allerdings, wie sich bald herausstellen sollte, viel zu spät. Auf den letzten Metern war ich etwas zu langsam, aus zwei Metern Höhe plumpste der Flieger auf den Boden. Die Strömung an den Flügeln war wegen der zu geringen Geschwindigkeit abrupt abgerissen. Der Schaden hielt sich glücklicherweise in Grenzen, das Fahrwerk hatte das meiste abgefangen und Schlimmeres verhindert. Es waren nur zwei sogenannte Augen eingedrückt, die verhindern, dass sich die Flügel vor- und zurückbewegen können. Eine Kleinigkeit, zumal am Ende der Saison, wo für die Reparatur ein ganzer Winter lang Zeit bleibt.
Doch für den Werkstattleiter unseres Vereins, im eigentlichen Leben ein sehr erfolgreicher Unternehmer, war dieser Unfall ein weiterer Beweis dafür, dass man den Jungen einfach nichts anvertrauen kann. Für ihn gab es nur eine Wahrheit, nämlich seine eigene. »Die spinnen alle«, tobte er und stutzte mich zurecht, als ob es kein Morgen gäbe. Für mich war dieses Erlebnis
aus zwei Gründen ein schwerer Schlag. Zum einen schien es mir eine wunderbare Sache, dass mir ganz selbstverständlich ein Segelflugzeug anvertraut wurde, denn dieses Vertrauen machte mich stolz und stärkte mein Selbstbewusstsein. Insofern kam die Tirade dieses Mannes, der ohnehin zu cholerischen Ausbrüchen neigte, für mich mindestens einem Teilentzug dieses Vertrauens gleich.
Zum anderen war dieser Unfall ein erster Dämpfer für meine aufstrebenden Ambitionen. Bis dahin hatte es für mich im Segelflugzeug nur einen Weg gegeben, nämlich den nach oben – nach unten ging es nur, wenn ich landen musste. Im Sommer davor hatte ich meinen Kunstflugschein geschafft, ich galt als ausgewiesenes Segelflugtalent, das es zu fördern galt. Die ersten Jahre haben daher einen enormen Schub für mein Selbstwertgefühl gebracht. Dies war nun aber genauso eingedrückt wie die Augen des beschädigten Segelflugzeugs.
Im Nachhinein betrachtet war das der typische Verlauf in der Entwicklung der eigenen Selbstsicherheit, wie er sich bei vielen Piloten einstellt sowie bei Menschen im Allgemeinen. Kaum jemand fängt mit übertriebenem Selbstbewusstsein etwas Neues an. Diejenigen, die sich ihrer Sache ganz sicher sind, sind eher die Ausnahme. Dann registriert man, dass man erste Fortschritte macht, auf die immer mehr Fortschritte folgen. Irgendwann kommt dann das Gefühl: Bisher ist alles gutgegangen, ich bin ja doch viel besser, als ich dachte. Und so sehr man sich am Anfang unterschätzt
hat, so sehr überschätzt man sich auf einmal. Dann braucht es einen ersten Dämpfer, und den muss man überstehen. Schließlich merkt man: Hoppla, ich bin doch noch ein rechter Anfänger. Hilfreich ist es, wenn man daraus die richtigen Schlüsse zieht.
Ich habe diesen Zwischenfall zum einen überstanden und zum anderen Konsequenzen daraus gezogen. Eine davon war, so schnell wie möglich in einem eigenen Flugzeug zu sitzen. Wenn es künftig jemanden geben sollte, der nach einem Unfall zu schreien begann, dann sollte es nur einer sein: ich selbst. Zwei Jahre später konnte ich mir meinen sehnlichen Wunsch erfüllen. Dass der um ein Haar für mich tödliche Folgen gehabt hätte, ahnte ich damals noch nicht.
Meine Lehrerausbildung an der Pädagogischen Akademie in Linz hatte ich zu dieser Zeit gerade hinter mich gebracht. Ich
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