Wer nichts hat, kann alles geben
hatte das, was ich mir zu Schulzeiten vorgenommen hatte, in die Tat umsetzen wollen. Meine Fächer waren Mathematik, Physik und Chemie für die Zehn- bis Vierzehnjährigen an Hauptschulen, weil ich das Gefühl hatte, dass gerade sie am dringendsten Lehrer brauchten, die ihnen zeigten, dass Schule auch Spaß machen kann.
Das Studium war mit drei Jahren relativ kurz, deshalb war ich erst 21, als die Zeit meines Schulpraktikums begann. Doch die zeigte mir relativ schnell, dass ich mit meiner Vorstellung von einem lebendigen Unterricht gegen die Wand fahren würde, hinter der sich das Schulsystem so gern verschanzt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich eine Unterrichtsstunde
vorbereitet hatte, die ein älterer Kollege zur Kontrolle begleiten sollte. Ich hatte mich am Lehrplan orientiert, diesen jedoch kreativ uminterpretiert, weil ich das Gefühl hatte, den Schülern so den Stoff besser vermitteln zu können. Nachdem ich meinem Kollegen die Stunde skizziert hatte, wie ich sie gern halten wollte, wandte er ein, dass das nicht möglich sei, ich möge mich bitte genau an die Vorgaben halten. So, wie ich es machen wollte, habe man es an dieser Schule noch nie gemacht.
»Aber ich habe doch nur eine Kleinigkeit verändert, damit den Schülern das Lernen mehr Spaß macht«, entgegnete ich. »Herr Kollege«, sagte er, »Sie können hier nicht machen, wonach Ihnen gerade der Sinn steht. Und wozu sollen die Schüler im Unterricht Spaß haben, die sollen etwas lernen!« Ich aber dachte mir: »Wenn ich schon bei der Vorbereitung beinahe einschlafe, wie kann ich es dann den Schülern verübeln, wenn es ihnen im Unterricht später genauso ergeht?« Doch an der Haltung des Kollegen war genauso wenig zu rütteln wie am gesamten Schulbürokratismus.
Meine Motivation, ein besserer Lehrer zu sein als diejenigen, unter denen ich selbst gelitten hatte, war damit schnell verflogen. Als ich vor der Entscheidung stand, mich entweder zu ergeben und dem Lehrplan bedingungslos zu folgen oder der Schule lieber den Rücken zu kehren, spürte ich, dass es gar keiner Entscheidung bedurfte – zumal sich zu diesem Zeitpunkt schon längst abzeichnete, dass ich mir als Unternehmer
die Freiheit bewahren konnte, die man mir als Lehrer von Anfang an genommen hätte.
Ich konzentrierte mich darauf, das weiterzuentwickeln, was meine Großeltern gemeinsam mit meiner Mutter aufgebaut hatten und was ich schon während des Studiums komplett übernommen hatte. Bereits damals war ich morgens um sechs auf dem Markt, um meinen Stand aufzubauen, und bat die Verkäuferinnen der Nachbarstände, meine Waren mitzuverkaufen. Dann fuhr ich in die Akademie, um die Seminare und Vorlesungen zu besuchen, kam in der Vormittagspause kurz zurück, um zu schauen, ob alles läuft, packte mittags alles wieder ins Auto und fuhr nach Hause.
Es war mitunter sehr anstrengend, alles unter einen Hut zu bekommen, aber zum einen war ich ja von frühester Kindheit an ein Leben gewohnt, in dem es kaum Ruhepausen gab, zum anderen machte mir diese Arbeit großen Spaß. Es gab niemanden, der mir Vorschriften machte, der Erfolg meines Marktstandes hing allein davon ab, wie engagiert und diszipliniert ich bei der Sache war, und wenn ich nachmittags die Einnahmen abrechnete, spürte ich eine tiefe Befriedigung in mir. Und wie es sich für ordentliches Unternehmertum gehört, keimte irgendwann die Idee auf, dass sich auf der Basis des Marktstandes doch etwas aufbauen lassen müsste. Etwas, das langsam würde wachsen können.
Zum Sortiment meines Standes hatten lange schon Blumen aus unserer Gärtnerei gehört, die meine Mutter voller Hingabe aufzog. Es waren nicht viele Sorten,
die wir anbieten konnten, aber immerhin genug, dass ich irgendwann auf die Idee kam, sie zu trocknen und damit haltbar zu machen. So blieb mehr Zeit, sie zu verkaufen, weil die Ware nicht mehr welkte, und unsere Kunden hatten länger etwas davon, weil sie sich die Trockenblumen in die Wohnung stellen konnten, ohne dass sie irgendwann ihre Blütenblätter verloren. Zu meiner großen Freude verkauften sich die getrockneten Blumen weitaus besser als die frischen. Es war das erste Mal, dass ich den Eindruck gewann, ein gutes Gespür für die Bedürfnisse unserer Kunden zu haben. Von da an war der Keller unseres Hauses in Leonding vollgehängt mit Blumensträußen, die langsam vor sich hin trockneten, und unser Marktstand wechselte allmählich vom Gemüse- zum Dekorationsverkauf.
Als ich mich im darauffolgenden
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