Wer nichts hat, kann alles geben
»Kopf« steht und am anderen »Bauch« und den man je nach Situation in die eine oder andere Richtung schiebt. Damit lässt sich dann einstellen, welcher Anteil an einer Entscheidung dem Kopf zukommt und welcher dem Bauch.
Es gibt keine Reglereinstellung, die für alle Menschen richtig wäre, genauso wenig wie eine Einstellung für alle Lebenssituationen ein und derselben Person. Der Regler ist vielmehr immer in Bewegung. So wie jeder Mensch anders ist als ein anderer, so sind auch die Situationen und Lebensbereiche unterschiedlich, die ein und derselbe Mensch zu lösen hat. Manchen tut es beispielsweise im Beruf gut, wenn sie sehr kopforientiert agieren, damit lässt sich in vielen Dingen
des Privatlebens allerdings kein Blumentopf gewinnen. Grundsätzlich steht der Regler immer genau dort richtig, wo das Gesamtsystem am besten funktioniert. Ich habe aber den Verdacht, dass der Regler in unserer Gesellschaft chronisch zu weit in der Nähe des »Kopfes« steht.
Das Handwerk
W enn man Freiheit als einen Zustand definiert, in dem man in jeder Sekunde neu entscheiden kann, in welche Richtung man steuern möchte, dann war der Himmel für mich das Laboratorium, in dem ich experimentieren konnte, wie weit ich dabei zu gehen bereit war. Bis dahin hatte ich die Grenzen der Freiheit, die mir meine Mutter gewährte, dadurch auszureizen versucht, dass ich an einer Zigarette zog oder Alkohol ausprobierte. Doch weil zu Hause alles erlaubt war und ich den Geschmack von Bier genauso schlimm fand wie den einer Zigarette, hatte ich mit dem Trinken wie mit dem Rauchen erst gar nicht angefangen.
Es macht einfach keinen Spaß, Grenzen auszureizen, die es gar nicht gibt. Ich blieb damit auch bei den Abenteuern, die man als Pubertierender für gewöhnlich erlebt, ein Außenseiter. Mein Abenteuer war vielmehr ein Leben in kompletter Eigenverantwortung und Selbstständigkeit. Dazu gehörte für mich auch, alles auszuprobieren, was möglich war – unabhängig davon, ob das Mögliche auch das Sinnvolle oder Wünschenswerte war. Jede Möglichkeit, die sich mir auftat,
empfand ich als Herausforderung, und ich setzte alles daran, sie zu meistern.
So landete ich schließlich beim Bodybuilding. Zum Ende meiner Gymnasialzeit kam in meiner Schule in Linz die Mode auf, den eigenen Körper im Fitnessstudio zu trainieren. Bei manchen meiner Klassenkameraden konnte ich gut erkennen, dass dies auch eine gewisse Wirkung hinterließ. Ihnen wollte ich nacheifern. Ich wollte herausfinden, wie weit ich selbst meinen »Body builden« konnte.
Fortan führte mich mein Weg nicht nur auf den Segelflugplatz, sondern auch ins Römerberg-Studio, das mit Abstand hässlichste Studio der Stadt. Dorthin ging nur, wer das Ziel hatte, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Muskelmasse aufzubauen und seinen Körper zu einem aufgepumpten Muskelpaket umzuformen, auf welche Weise auch immer. Für mich war dieser Keller mit seinen Hantelbänken vor der Spiegelwand und der schweißgetränkten Atmosphäre genau die richtige Umgebung. So wurde Karl, der »Gärtner«, zu Karl, dem »Bein«. Den ersten Spitznamen hatten mir meine Trainingskameraden wegen der Gärtnerei meiner Großeltern verpasst, den zweiten, weil ich die muskulösesten Bein- und Wadenmuskeln hatte, ohne viel dafür trainieren zu müssen.
Der »Gärtner« blieb ich aber weiterhin. Mit 19 hatte ich die Gärtnerei meiner Großeltern übernommen und verdiente damit das Geld, das ich zum Studieren und fürs Segelfliegen brauchte. Ich wuchs damit von ganz allein in die Selbstständigkeit eines Unternehmers hinein,
für den Geldverdienen ein wichtiger Bestandteil seines Lebens war.
Dieser Job war aber nicht mein einziger. Auf dem Markt in Linz verkaufte ich Gemüse, in den Hochhaussiedlungen am Ortsrand von Leonding darüber hinaus Zeitungsabonnements. Ich zog von Tür zu Tür und hatte den verdutzten Menschen, die mir öffneten, eine so bekannte wie berüchtigte Boulevardzeitung aus Wien schon gratis zur Probe angedreht, bevor sie Nein sagen konnten. Ein paar Tage später klingelte ich wieder, fragte freundlich, wie ihnen die Zeitung gefallen hätte, überreichte ein paar Blumen und überredete sie zum Abschluss eines Jahresabonnements.
Auch hier waren es vor allem die Damen, die irgendwann ihre Unterschrift unter die Bestellung setzten. Dass ich das ausgerechnet mit einer Zeitung tat, von der es heißt, sie biege sich die Wahrheit zur Not so lange zurecht, bis sie ins eigene Weltbild passt, ist mir heute
Weitere Kostenlose Bücher