Wer nichts hat, kann alles geben
Qualitätsbewusstsein ein, das ich an den Tag legte. Das führte aber mitunter dazu, dass sie Angst vor mir bekamen. Denn wenn ich bei jemandem das Gefühl hatte, er gibt nicht alles, um meinen und den Vorstellungen unserer Kunden gerecht zu werden, konnte es mit mir sehr unangenehm werden. Viele werden sich gedacht haben: »Der lebt in einer anderen Welt.« Und, ja, so war es.
Immer wieder kam es deshalb bei mir zu cholerischen Ausbrüchen, weil ich nicht akzeptieren konnte, dass jemand meine Ansprüche ignorierte oder nicht seine volle Leistung brachte und damit aufs Spiel setzte, was wir aus eigener Kraft aufgebaut hatten. Durch schlechte Arbeit fühlte ich mich persönlich missachtet, angegriffen und beleidigt. Ich verurteilte dann nicht nur die schlechte Arbeit, sondern den ganzen Menschen. Mir war es lieber, wenn jemand zu mir kam und sagte: »Herr Rabeder, ich bin heute einfach unkonzentriert, weil mein Mann krank ist, ich gehe besser nach Hause«, als den Mund zu halten und schlechte Arbeit abzuliefern.
Oft schoss ich dabei jedoch weit übers Ziel hinaus. Wenn ich erst einmal in Rage war, wurde ich auf einer Welle von Wut und Zorn davongetragen. Hinterher taten mir solche Ausbrüche ausgesprochen leid, sie hinterließen bei mir die gleiche bedrückende Leere wie bei den Adressaten solcher Tiraden. Wenn ich auf ein Problem cholerisch reagierte und meinen Willen lautstark durchzusetzen versuchte, hieß das ja nicht, dass nicht gleichzeitig auch eine innere Instanz spürte, dass dieses Verhalten falsch war. Das führte dann dazu, dass ich mich mit einem schlechten Gewissen herumplagte und mich für mein Verhalten entschuldigte. Dies änderte jedoch nichts daran, dass dieses Verhalten das Miteinander nachhaltig beeinträchtigte.
Insgeheim spürte ich schon damals, dass etwas nicht passte bei dem, was ich tat. Unsere Firma war zwar im
Sinne der ökonomischen Entwicklung höchst erfolgreich. Was mir aber fehlte, war der Sinn meines Tuns. Dass Leute bei sich zu Hause eine Kerze anzünden können, wenn es draußen kalt wird, sich das Wohnzimmer mit einem Gesteck verschönern oder sich ein erfolgreiches Jahr von einer kleinen Steinfigur erhoffen, ist schön und gut. Es entbehrt für mich aber jeden tieferen Sinns, solange gleichzeitig auf anderen Kontinenten Menschen in bitterer Armut leben und jeden Tag Tausende von Kindern sterben, nur weil der, der sich die Kerze anzündet und danach in den Fernseher stiert, nicht eine Spur von Verantwortung zu übernehmen bereit ist. Und der, der die Kerze verkauft, es genauso wenig tut.
Ich war auch jemand, der sich gern zu Hause einspann, gerade in den Jahren des größten Erfolgs saß ich selbst Abend für Abend vor dem Fernseher und wollte nichts anderes als meine Ruhe. Immer mehr wurde mir jedoch bewusst, welch Staubkörnchen ich auf diesem Planeten bin und dass es uns Staubkörnchen auf der Nordhalbkugel nur deshalb so gutgeht, weil wir vor allem auf Kosten der Staubkörnchen auf der Südhalbkugel leben. Dass ich nicht nur Teil dieser satten und zufriedenen Welt war, sondern darüber hinaus von ihr sogar profitierte, machte mir in stillen Momenten sehr zu schaffen.
Aber dadurch, dass ich mir viele Wünsche erfüllen konnte, die für andere Menschen vermeintlich so viel Glück bedeuten, dachte ich, dass ich mich nicht beschweren dürfte. Solche grundsätzlichen Zweifel kamen
fast immer nur in ruhigen Minuten auf, spätestens am nächsten Morgen, wenn ich wieder an meinem Schreibtisch saß, waren sie meist wieder verflogen. Es ist ein Muster, wie es letztlich auch schon die alten Römer nach dem Motto »Brot und Spiele« angewandt haben: »Lasst uns das Volk beschäftigt halten, gebt den Menschen Brot und Spiele, dann können sie nicht zu viel nachdenken.« Ich habe mir selbst genauso Brot und Spiele gewährt und brav den gesellschaftlichen Standardauftrag erfüllt, der darin bestand, ein nach außen hin glückliches Leben zu führen.
Wir bekommen es ja permanent vorgebetet, keinem wird zugestanden, dass es bei ihm oder ihr anders sein könnte: »Such dir einen Job mit einem sicheren Einkommen, dann hast du keinen Grund mehr, unglücklich zu sein. Konsumiere brav vor dich hin, zieh dir jedes Jahr deinen Jahresurlaub rein und schreie laut Hurra! Und dann geh irgendwann in Rente.«
Meine Reaktion auf solche Zweifel war deshalb allenfalls der Selbstzweifel: »Kann es nicht sein, dass meine Einschätzung falsch ist? Vielleicht bin ich einfach unbescheiden. Vielleicht will
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