Wer nichts hat, kann alles geben
ich einfach immer mehr, obwohl ich schon so viel habe. Vielleicht aber gibt es andererseits hinter dem, was ich bereits erreicht habe, etwas, das noch schöner ist.« Meine Hoffnung war, dass ich vermutlich wunschlos glücklich sein würde, wenn ich noch mehr erreicht haben würde.
Ich habe damals noch nicht verstanden, dass ich dafür nicht mehr brauchte, sondern weniger. Davon aber
war ich zu diesem Zeitpunkt sehr, sehr weit entfernt. Stattdessen arbeitete ich nur noch härter daran, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich mir boten. Es ging mir in erster Linie aber gar nicht darum, reich zu werden. Es war weniger das Geld an sich, das für mich erstrebenswert war, das war ja nur Mittel zum Zweck. Der wichtigere Wert war für mich die persönliche Freiheit. Damit hat mich das System aber letztlich aufs Kreuz gelegt, weil es sinngemäß versprach: »Mit viel Kohle bist du frei!« Heute weiß ich, dass dieses Versprechen nicht stimmt.
Ein Leben ohne finanzielle Nöte hat ja auch durchaus seine Reize. Neben meinen Segelflug-Reisen erlaubten Irene und ich uns schöne Urlaube, wir gingen in feinen Restaurants essen und genossen das Gefühl, uns nahezu jeden Wunsch erfüllen zu können. Dass wir uns diesen Status selbst erarbeitet hatten, trug viel zu der Befriedigung bei, die wir dabei spürten.
Als ich neunundzwanzig Jahre alt war, wäre es mit diesem Leben allerdings um ein Haar vorbei gewesen. Es fehlte nicht viel, und mein Jantar hätte mich während meiner ersten österreichischen Meisterschaft in einen Absturz verwickelt, den ich vermutlich nicht überlebt hätte. Ich war mit diesem Flugzeug schon gut tausend Stunden in der Luft gewesen und dachte deshalb, ich hätte den Flieger im Griff. Weil ich daran ein paar Modifikationen vorgenommen hatte, hatte ich das Gefühl, dass meiner nicht so giftig war wie die anderen seines Typs.
Es war der erste oder zweite Wertungsflug, wir waren unterwegs in der Gegend von Admont, als ich relativ tief gesunken war. An einer eher unlogischen Stelle, auf der Nordseite eines Berges, die also im Schatten liegt, finde ich einen Aufwind. Kreise drehend steige ich langsam nach oben, plötzlich beginnt der Flieger zu trudeln, ohne dass ich irgendetwas dazu beigetragen hätte. Er ist über eine Fläche weggekippt und hat begonnen, sich um die eigene Achse zu drehen. Von einem Moment auf den anderen ist er nicht mehr steuerbar, ich stürze unkontrolliert dem Boden entgegen. Ich empfinde dabei aber keinerlei Todesangst, weil dafür gar keine Zeit bleibt. Ich bin voll darauf konzentriert zu spüren, wie der Flieger reagiert, um ihn irgendwie wieder unter meine Kontrolle zu bringen.
Aus meiner Kunstflugausbildung weiß ich, was zu tun ist, und steuere sofort in das Standard-Ausleit-Manöver. Doch nichts passiert, kein Ruderdruck. Und so trudle ich, rasch an Höhe verlierend, auf eine Waldlichtung zu. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis die Strömung am Flügel endlich wieder anliegt und der Flieger die Drehung beendet. Durch das Trudeln habe ich nicht nur viel an Höhe verloren, der Flieger hat auch auf gut 180 Kilometer pro Stunde beschleunigt und schießt nun im steilen Sinkflug auf die Waldlichtung zu. Ich ziehe beherzt am Knüppel, etwa zehn Meter über dieser Lichtung liegt der Flieger wieder horizontal.
Wären die Bäume dort nicht kurz vorher abgeschnitten worden oder wäre ich zu Beginn des Trudelns ein
paar Meter tiefer gewesen, wäre ich wahrscheinlich einer der vielen geworden, die mit diesem Flugzeugtyp ums Leben gekommen sind. Allein bei uns im Verein gab es zwei Tote und eine Serie weiterer in anderen Clubs. Denen war genau das passiert, was ich erlebt hatte.
Als alles vorüber war, begannen meine Knie wie wild zu zittern. Anschließend stieg ich zwar wieder in diesem Aufwind, ich brauchte aber bestimmt fünf Minuten, bis ich wieder leidlich ruhig war. Die Ursache für diesen Beinahe-Absturz war, dass die Atmosphäre in ständiger Bewegung ist, manchmal kann es da extrem turbulent werden. Das ist kein großes Problem, wenn die Turbulenz beide Flügel gleichmäßig trifft. Ist sie jedoch so kleinräumig, dass an einem Flügel etwas anderes passiert als am anderen, kann einseitig die Strömung abreißen – der Flieger gerät ins Trudeln. Hätte ich geahnt, dass das passieren könnte, hätte ich vorher zehn Stundenkilometer schneller fliegen können, dann wäre vermutlich nichts geschehen. So etwas lässt sich aber vorher kaum abschätzen. Wenn auf einer Seite die
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