Wer nichts hat, kann alles geben
jahrelangen Krise wieder zueinanderfinden und erst dadurch merken: Das ist der Partner meines Lebens. Dass es andererseits aber Paare gibt, die nach einer solchen Krise feststellen, dass sie wirklich nicht mehr zusammenpassen, und trotzdem zusammenbleiben, weil es der bequemere Weg ist, das ist mir rätselhaft. Diese Menschen berauben sich jeder Handlungsoption und auch ihrer Lebenszeit.
Insofern war Irene im Begriff, mir genauso wie sich selbst ein neues Leben zu schenken, als sie mich nach der Rückkehr von unserem Trainingslager vom Bahnhof abholte. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern. Ich hatte mir von ihr gewünscht, dass sie sich für den Abend ein bestimmtes Kleid anzog, in dem ich sie sehr attraktiv fand, damit wir schön essen gehen konnten. Doch schon am Telefon war sie sehr eigen gewesen, sie reagierte sehr reserviert auf meinen Wunsch. Als ich ins Auto stieg, sah ich, dass sie eindeutig nicht das trug, worum ich sie gebeten hatte. Da war klar: Hier ist der Wurm drin.
Sie eröffnete mir, dass sie einen neuen Mann kennengelernt habe und sich von mir trennen werde. In den Wochen danach litt ich wie ein Hund. Weniger weil ich unsere Beziehung als so erfüllend und bereichernd
empfunden hätte als vielmehr wegen einer Mischung aus gekränktem Stolz und Angst vor der Zukunft. Wie kann man nur einen so wundervollen und erfolgreichen Mann wie mich gegen einen anderen eintauschen? Irene war schlicht die Erste von uns beiden, die in der Lage gewesen war, vor der inneren Leere zu fliehen, unter der wir beide so lange gelitten hatten.
Durch die Trennung schlitterte ich in eine handfeste Krise. Es war, als würde mich überallhin eine dunkle Wolke begleiten: ins Bad, ins Büro, sogar zum Segelfliegen. Irene und ich lebten noch einige Zeit unter einem Dach, ich lag allein in unserem gemeinsamen Schlafzimmer, sie schlief in ihrem Büro ein Stockwerk tiefer. Auf die Arbeit in unserer Firma wirkte sich das nicht aus, beruflich begegneten wir uns wie vorher auch, mit allen Höhen und Tiefen. Was mich so leiden ließ, war das Wissen, dass ich nun in das große Unbekannte geschmissen wurde, raus aus der Komfortzone, die nicht himmelhoch jauchzend schön war, aber eben bekannt. Irene war eine fürsorgliche Ehefrau gewesen, die mir nun die warme Decke entzogen hatte, unter der ich es so lange gemütlich hatte.
Zu einem Geschenk wurde diese Trennung erst dadurch, dass mir irgendwann klarwurde, dass derselbe Mechanismus, der so vielen Menschen die Loslösung von ihren beruflichen Zwängen erschwert, sie auch an einen anderen Menschen bindet. Sie nehmen lieber die Unfreiheit in Kauf, von der sie genau wissen, wie sie sich anfühlt, als sich der Freiheit auszusetzen, die
unbekannt ist und deshalb Angst macht. Ich glaube, es würde vielen guttun, an einer Partnerschaft nicht ewig festzuhalten, wenn sie merken: Ein Tag in dieser Beziehung unterscheidet sich kaum von einem Tag im Büro. Doch man behält lieber das, was man sicher hat, auch wenn es einen nicht wirklich glücklich macht.
Dazu kommt, dass jede Trennung mit großem Leid einhergeht. Ich habe keine Beziehung beendet ohne Schmerzen, entweder bei beiden oder nur einseitig. Ein Job, den man aufgibt, leidet nicht. Es ist dem Postbüro ziemlich egal, ob man am nächsten Tag zurückkehrt oder nicht, der Postbeamte wird es wahrscheinlich ebenso wenig vermissen. Wenn sich zwei Menschen aber verlassen, die sich einmal geliebt haben, tut das beiden weh, ganz unabhängig davon, wer wen aus welchem Grund verlässt. Man verliert ja nicht nur einen ehemals geliebten Menschen, sondern auch einen guten Freund, mit dem man gemeinsam gelacht und geweint hat, mit dem man morgens beim Frühstück saß und abends vor dem Fernseher. Es dauert einfach, das zu verarbeiten und den Geist und die Seele wieder freizuschaufeln.
Bei mir waren es gottlob nur drei Monate. Denn dann traf ich auf die Frau, die mir zeigte, wie leidenschaftlich und erfüllend Liebe sein kann: Lucie. Auch sie kam, wie könnte es anders sein, durchs Fliegen in mein Leben, wenn auch auf indirekte Weise. Während des vorangegangenen Junioren-Trainingslagers hatte ich eine Frau kennengelernt, die für die bald folgende Damen-WM in Tschechien trainierte. So wie sie beim
Training flog, war mir klar: Die wird Weltmeisterin. Ich beschloss, am letzten Tag dieser Weltmeisterschaft anzureisen, um ihr zum Titel zu gratulieren.
Da war aber noch etwas, was mich magisch ins tschechische Jihlava zog, ich konnte jedoch nicht
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