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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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beispielsweise eine Situation, in der mein Teampartner einen tollen Aufwind erwischte und ich nicht. Er gab mir durch, dass er vier Meter in der Sekunde stieg,
das ist so ziemlich das Maximum dessen, was möglich ist. Ich aber flog ganz ruhig weiter, wohlwissend, dass ich einen Vier-Meter-Aufwind auf jeden Fall noch finden würde, wenn nicht mehr. Ich sank relativ tief und geriet irgendwann in einen Aufwind, der mich um fünf Meter pro Sekunde anhob. Als ich oben zu kreisen aufhörte, flog mein Kollege gerade unter mir durch. Mein Gefühl passte einfach. Es gab viele solcher Situationen, in denen ich mit einer Natürlichkeit flog, als ob es keinen anderen außer mir gäbe.
    Ich war auf dem besten Weg, mein selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Sehr zum Leidwesen von Lucie, deren Unmut vor Ort immer größer wurde. Sie erwartete, dass wir einen genauso romantischen Aufenthalt erleben würden wie damals in Rieti. Doch wenn sie mich abends zu einem Eis einladen wollte, musste ich mich noch mit der Wettervorhersage für den folgenden Tag beschäftigen, und wenn sie mich nachts verführen wollte, bat ich sie, mich schlafen zu lassen, um meine Konzentrationsfähigkeit nicht aufs Spiel zu setzen. Mein ganzes Denken war nur auf den bevorstehenden Erfolg programmiert. Und doch kam es ganz anders.
    Am vierten Tag gelang mir plötzlich gar nichts mehr, mein Gespür für die Luft war ins Trudeln geraten. Ich saß im Flugzeug und war nicht mehr eins mit meiner Umgebung, sondern fühlte mich vielmehr wie ein Beobachter, der sich stirnrunzelnd fragt, was er da eigentlich macht. Wer sich auf der Grundlage seiner Intuition bewegt, hinterfragt keinen einzigen Schritt.
Hat man allerdings die Verbindung zu seiner Intuition verloren, bewegt man sich auf wackligen Füßen.
    Dass ich im Rahmen eines solchen Wettbewerbs mal einen nur durchschnittlichen Flugtag hinlegte, war nichts Besonderes. Dass ich aber dermaßen patzte, war für mich sehr ungewöhnlich. Ich hatte den Fehler gemacht, mich nicht nur mit dem Fliegen selbst zu beschäftigen, sondern auch mit seinen Resultaten. Ich studierte die Wertungslisten mit derselben Akribie wie die Wetterprognosen, doch das war Gift für mich. Ein Sprichwort besagt: »Erreiche dein Ziel, ohne an das Ziel zu denken, denn jedes Wollen bindet den Geist.«
    Die besagte Damen-Weltmeisterin, deretwegen ich nach Tschechien gereist war, hielt sich deshalb immer fern von jeder Ergebnisliste, sie wollte auch keine Zwischenstände hören. Wurde sie am Ende eines Wettbewerbstages interviewt, dachte sie: »Na, so schlecht kann ich im Moment ja nicht liegen.« Ich hätte es genauso halten sollen, war aber zu sehr mit dem beschäftigt, was sich am Horizont abzeichnete, als dass ich die dunklen Wolken um mich herum hätte wahrnehmen können.
    Meine Reaktion auf diesen Katastrophentag war stattdessen, mich eben noch mehr zu fokussieren. Zunächst schien mir der Erfolg Recht zu geben: Die beiden folgenden Tage absolvierte ich wieder mit der Souveränität eines WM-Favoriten. Ich konnte mich wieder darauf verlassen, in jedem Moment die richtige Entscheidung zu treffen. Meine Führung geriet wieder in greifbare Nähe, der Blick auf die Wertungsliste versetzte
mich in Hochstimmung. Und dann folgte abermals ein sehr schlechter Tag, gefolgt von zwei durchschnittlichen. Ich flog nicht mehr außer-, sondern unterirdisch.
    Damit war der Titelgewinn außerhalb meiner Reichweite, die Wertungslisten wurden zum Dokument meines Scheiterns. Es war klar, dass ich mich ohne Pokal auf den Nachhauseweg würde begeben müssen. Meine Enttäuschung war riesig. Um mich abzulenken, begann ich, mich an den Abenden für Immobilien in Südfrankreich zu interessieren, und brachte den Wettbewerb mit Anstand zu Ende. Zum Schluss belegte ich den 13. Platz – ein für einen Favoriten frustrierendes Ergebnis.
    Niedergeschlagen lud ich den Segelflieger auf den Anhänger, verabschiedete mich von meinen Kollegen und machte mich gemeinsam mit Lucie auf den Weg zurück nach Tirol. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht, dass dies auf sehr lange Zeit mein letzter Wettbewerb bleiben würde. Doch mit jedem Kilometer, den wir uns vom Austragungsort entfernten, wurden die Fragen in meinem Kopf immer lauter: Warum habe ich mein Ziel nicht erreicht? Was will mir diese Niederlage sagen? War es das alles wirklich wert? Warum fliege ich eigentlich? Und: Was ist wirklich wichtig?

Die Ablösung
    W ar der Hawaii-Urlaub ein Wendepunkt für mich als

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