Wer nichts hat, kann alles geben
die Segelflugexpeditionen in Argentinien ließ ich mir ein Flugzeug nach meinen eigenen Vorstellungen bauen, mit allen Spezialitäten fürs Wellenstreckenfliegen.
Meine Überlegungen dabei waren: Ich hasse es zu frieren, ich mag es nicht, wenn der Flieger laut ist. Also will ich eine perfekte Abdichtung und eine doppelwandige Rumpfschale, damit es innen nicht kalt wird, außerdem eine Beheizung des Sitzes und der Schuhe. Damit konnte ich nicht nur mir einen Gefallen tun, sondern auch vielen anderen. Beim Flugzeughersteller hatte es zunächst geheißen: »Wir können solche Wünsche nicht erfüllen, deren Entwicklung uns keiner zahlt.« Also antwortete ich: »Fangt mal an, dann reden wir über die Kosten. Und wenn es sinnvoll ist, könnt ihr die Neuerungen gern in eure Serienmodelle übernehmen.«
Aus heutiger Sicht war die Konzentration auf die Weltmeisterschaft in Frankreich nichts anderes als eine Ersatzbefriedigung meines Wunsches nach Erfolg und Anerkennung. Denn die Pokale, um die man beim Segelfliegen kämpft, sind genauso Trophäen wie die, denen man im Alltag hinterherrennt. Das Geld, das man verdient, die Karriere, die man gemacht, die Macht, die man sich erkämpft hat – auch das sind Auszeichnungen, auf die man vermeintlich stolz sein und die man herzeigen kann, in der Hoffnung, dafür Bewunderung, zumindest aber Anerkennung zu ernten. Selten fragt man sich, ob die Anstrengungen, die es kostet, ein solches Ziel zu erreichen, all die Mühen überhaupt wert sind und ob man sich mit den Zielen selbst identifizieren kann.
Auch bei mir war das so: Mit dem Verkauf meiner Firma war mir meine Vitrine abhandengekommen, in
der all die unsichtbaren Pokale des erfolgreichen Geschäftsmannes standen, also richtete ich neben dem sozialen Engagement meine Energie eben auf einen echten Pokal: den goldenen der WM.
Im Vorfeld dieses Wettbewerbs galt ich als einer der Favoriten. Ich hatte den Weltcup im Gebirgssegelflug in Südfrankreich schon mehrmals gewonnen, kannte mich in dieser Gegend so gut aus wie kaum ein anderer. Unter den französischen Segelfliegern hieß es deshalb: »Es gibt nur einen, der sich hier genauso gut zurechtfindet wie wir. Und das ist der verrückte Österreicher.« Je näher es auf die WM zuging, umso mehr versteifte ich mich deshalb darauf, Weltmeister zu werden.
Ich nahm wenige Monate vorher sogar einen Coach, der mir dabei helfen sollte, mein Potenzial voll auszuschöpfen. In diesem Coaching stellte sich heraus, dass ich nur durch die bedingungslose Fokussierung auf diese zwei Wochen im Juli in der Lage sein würde, zu zeigen, was ich kann. Für unsere Beziehung wurden die folgenden Wochen deshalb zu einer schweren Belastung. Lucie hielt mir vor, dass ich unser Zusammenleben vernachlässigte und keine Aufmerksamkeit mehr für sie aufbrachte. Wahrscheinlich hatte sie damit auch Recht. Ich wachte morgens mit dem Gedanken an die WM auf und schlief abends damit ein. Ich trainierte bestimmte Manöver und flog im Geiste einzelne Routen des Wettbewerbsgebiets ab. Ich war überzeugt, dass mich nur diese Fokussierung zum Erfolg führen würde.
Lucie aber ging davon aus, dass ich in jeden Fall Weltmeister werden würde, wenn ich nur so entspannt und beherzt fliegen würde wie Jahre zuvor auf unserem ersten Wettbewerb in Rieti. Und beides war im Grunde falsch. Genauso wie ich in meinem Leben als Unternehmer lange Zeit nicht wahrgenommen hatte, dass ich eine falsche Route eingeschlagen hatte, hatte ich das nun als Pilot auch nicht. Auch diesmal bedurfte es erst eines »Geschenks«, das mir die Augen öffnete. Es war im wahrsten Sinn des Wortes ein Geschenk des Himmels.
Zunächst lief bei der WM alles nach Plan, obwohl die Wetterverhältnisse für mich alles andere als ideal waren. Sie waren schlicht zu gut. Ich bin eigentlich kein Gut-Wetter-Pilot. Meine Stärken kann ich erst dann richtig ausspielen, wenn die Bedingungen widrig sind und man die Atmosphäre nach den wenigen Schlupflöchern absuchen muss, die sie bereithält. Es sind die Momente, bei denen andere schon mit hängenden Mundwinkeln zum Flugplatz kommen, von denen ich mich erst so richtig herausgefordert fühle. Bei fast allen Wettbewerben, bei denen ich am Ende als Sieger auf dem Podest stand, war das Wetter miserabel.
In Frankreich aber schien durchgehend die Sonne, der Himmel war strahlend blau. Trotzdem lag ich nach drei Tagen in Führung. Ich war unterwegs mit einer Sicherheit, die mir fast schon unheimlich war. Es gab
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