Wer nichts hat, kann alles geben
die ich nach dem Verkauf meiner Firma in Aktien angelegt hatte. Weil mich diese Verluste tief in meinem Herzen aber gar nicht berührten, fragte ich mich, wofür ich mich dann so angestrengt hatte, all das Geld zu verdienen. Ich begann, Geld als etwas zu begreifen, was über seinen oberflächlichen Wert hinausgeht: als Energieform.
Ich meine das nicht esoterisch, sondern im Sinne einer simplen Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag: Wie viel Energie ist notwendig, um einen bestimmten Betrag an Geld zu erwirtschaften, und rechtfertigt das, was man dafür erhält, diesen Aufwand? Mit diesem Verständnis kehrt Geld wieder zurück zu seiner eigentlichen Bestimmung und wird Mittel zum Zweck, anstatt bloßer Selbstzweck zu sein. Auf diese Weise ist man nämlich gezwungen, das Geld, das man etwa aufbringen muss, um sich ein bestimmtes Auto leisten zu können, in Relation zu setzen mit der Lebenszeit, die man dafür investieren muss. Lohnt es sich tatsächlich, fünf Arbeitstage im Monat nur dafür aufzubringen, Leasingraten, Versicherung und Benzin bezahlen zu können? Oder ist es nicht klüger, auf ein
kostengünstigeres, weniger repräsentatives Modell umzusteigen und die dadurch eingesparte Lebenszeit sinnvoller zu nutzen, zum Beispiel mehr Zeit mit seinem Lebenspartner oder den Kindern zu verbringen? Ist es wirklich notwendig, einen Arbeitstag im Monat dafür aufzuwenden, die Monatsgebühr für einen sündhaft teuren Fitnessclub überweisen zu können? Oder macht es nicht ohnehin mehr Freude, in der Natur zu joggen anstatt auf einem Laufband, über dem ein vor sich hin plärrender Fernseher hängt?
Zeit ist Geld, heißt es. Umgekehrt stimmt diese Formel allerdings nicht: Geld ist nicht Zeit, Geld kostet Zeit. Doch unsere Lebenszeit ist begrenzt. Die Frage muss deshalb lauten: Welche anderen Energieformen außer Geld will ich mir in meiner Lebenszeit zuführen – Lebensfreude zum Beispiel, körperliche oder geistige Gesundheit, eine spirituelle Komponente oder Liebe? Wenn jemand vor der Wahl stünde, sich zwischen Geld und Gesundheit entscheiden zu müssen, würde er sich wohl kaum für Geld entscheiden. Im täglichen Leben verhält sich aber fast jeder, als würde es nur ums Geld gehen. Oft vergeuden wir unsere Lebenszeit, ohne uns zu fragen, ob das, was wir mit dem dadurch verdienten Geld anstellen können, einen tieferen Sinn hat. Wir wollen einfach nur immer mehr davon.
Haben wir das Geld dann verdient, verbringen wir einen Großteil unserer Zeit damit, es für Dinge auszugeben, die wir gar nicht brauchen, von denen uns aber eingeredet wird, dass wir sie brauchen sollten und dass
sie unser Menschsein ausmachen. Das erledigt die Werbung, die auf uns von früh bis spät einprasselt, sobald wir nur die Augen und Ohren aufmachen. Selbstverständlich geht jeder Einzelne davon aus, dass er immun sei gegen die Tricks der Werbeindustrie. Ich halte diese Sicht allerdings für sehr naiv. Die Industrie ist bereit, Milliarden dafür auszugeben, uns mit ihren Botschaften einzulullen. Sie evaluiert in Marktforschungen, welchen Nutzen das hat. Stünde unter dem Strich nicht die Erkenntnis, dass die Werbung mehr einbringt, als sie kostet, würden die Manager das Geld sicher lieber behalten. So wirkungslos kann Werbung also nicht sein. Wenn aber jeder glaubt, sie sei wirkungslos, heißt das nur, dass wir getäuscht werden, ohne es zu merken, und dass sich andere an unserer Naivität bereichern.
Unser gesamtes Wirtschaftssystem ist auf solchen Methoden aufgebaut. Es heißt, nur so könne die Wirtschaft beständig wachsen. Die Apologeten des ewigen Wachstums behaupten, dass jede Gesellschaft nur so gedeihen kann. Wenn die Wirtschaft Jahr um Jahr wächst, also mehr Geld verdient, produziert sie genug Wohlstand und Fortschritt, damit alle Menschen glücklich und gesund leben können bis ans Ende aller Tage. Der Denkfehler aber liegt darin, Geld und Glück gleichzusetzen, als ob es uns automatisch umso zufriedener machen würde, je mehr wir uns leisten können. Sie blenden aus, dass Menschen krank und unglücklich werden, wenn sie all ihre Lebensenergie ins Geldverdienen stecken und sich keine Zeit mehr nehmen für
ihre Familien, ihre Freunde oder eine sinnstiftende Beschäftigung, die kein Geld abwirft, aber dafür Freude und Befriedigung.
Doch genauso wie der Mensch irgendwann kollabiert, wenn er immerzu dem Geld hinterherrennt, ohne sich nach dem Warum zu fragen, bricht in regelmäßigen Abständen auch ein auf endloses
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