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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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Persönlichkeit, so bedeutete die WM in Frankreich eine Zäsur für mich als Pilot. In den Schmerz der Niederlage, der nur langsam abklang, mischte sich die Erkenntnis, dass ich das Segelfliegen als Jugendlicher nicht begonnen hatte, um Trophäen einzusammeln, sondern um mich im Einklang mit der Luft und der Natur zu fühlen. Dass ich mich viele Jahre nach meinem ersten Alleinflug darauf eingelassen hatte, an Wettbewerben teilzunehmen, hatte weniger damit zu tun, dass ich die Anspannung so geliebt hätte, die man in den Minuten unmittelbar vor dem Start eines Wettbewerbsflugs spürt, sondern damit, dass ich mich hatte anstecken lassen vom Ehrgeiz anderer.
    Allein im Wort »Ehrgeiz« steckt bereits der Kern des Problems. Es besteht aus »Ehr« und »Geiz«: Wenn jemand ehrgeizig ist, geizt er mit Ehre, er gönnt sie keinem anderen. Auch ich litt früher, wenn ein anderer besser war als ich – selbst wenn er es verdient hatte. Ehrgeiz gilt in unserer Gesellschaft als erstrebenswert, weil er gleichgesetzt wird mit Antrieb oder
Motivation. Dabei ist es viel schöner, wenn man akzeptieren kann, dass ein anderer eben die Nase seines Segelflugzeugs vorn hat.
    Ich stellte fest, dass ich beim Segelfliegen immer dann richtig glücklich war, wenn ich mich nicht von Zielen leiten ließ, die nicht die meinen waren. Mit anderen Worten: wenn ich authentisch war. Doch dazu bedurfte es keiner Pokale oder Medaillen. Im Gegenteil, sie standen der Authentizität meistens nur im Weg. Diese Erkenntnis ließ sich auch auf mein übriges Leben übertragen: Auch da ging es mir seit dem Hawaii-Urlaub ja darum, glaubwürdig zu sein. Allmählich wurde mir klar, dass nicht nur der Pilot, sondern auch die Person Karl Rabeder noch einiges aus dem Weg räumen musste, um zur wahren Authentizität zu gelangen.
    Ich habe mal einen Satz gelesen, der sich in meinem Kopf eingenistet hat. »Das tägliche Gespräch mit unserer Seele ist das Einzige, was uns gesund hält.« Ich kann bei meinem Hang zu Naturwissenschaften nicht genau sagen, was das ist: Seele. Ich weiß nur, dass es etwas gibt, das über Körper und Geist hinausgeht, das nenne ich Seele. Sie ist es, die in Verbindung steht mit einer höheren Energie, die manche Gott nennen. Ich hingegen habe dieser Energie bewusst keinen Namen gegeben. Es hat einen Sinn, sich bewusstzumachen, dass es drei Säulen des Menschseins gibt, und dass man mit allen drei Säulen in Kontakt stehen muss, um stabil und ganz bei sich zu sein: Körper, Geist und das, was darüber hinausgeht.

    Insofern kann man die Phase, die nach der WM 2006 begann und die im Grunde bis heute andauert, mit »Soulbuilding« überschreiben. Ich bin überzeugt, dass die Spiritualität in jedem Menschen angelegt ist, so wie in jedem Körper Muskeln und in jedem Kopf Nervenzellen gewissermaßen ab Werk ausgeliefert werden. Viele Menschen müssen aber – wie ich auch – erst lernen, diese Spiritualität zuzulassen, weil sie sich zu sehr in einem Leben eingenistet haben, in dem dafür kein Platz ist.
    So machte ich mich nicht nur daran, den Schrank mit meinen glänzenden Siegestrophäen auszuräumen, sondern auch den mit den Statussymbolen. Ich fragte mich: Brauche ich tatsächlich zwei Häuser – das eine in Telfs, das andere in Frankreich – und sechs Segelflugzeuge – das, mit dem ich die WM flog, den Expeditionsflieger, eines für Lucie, zwei für Junioren, die sie sich für Wettbewerbe ausleihen konnten, und eines, um es in der Nähe unseres Anwesens in Frankreich zu stationieren? Kann ich mit meinem Besitz nicht Sinnvolleres anfangen?
    Abermals spielte mir dabei etwas in die Hände, worauf ich keinen Einfluss hatte, was zunächst aussah wie ein Hindernis, sich aber bald als Glücksfall erwies: die im Jahr 2007 einsetzende Wirtschaftskrise, die mit der Immobilienkrise in Amerika ihren Ausgang nahm und bald auf die Börsen hinüberschwappte.
    Die Modalitäten für die Gründung meines sozialen Investmentfonds hatten sich als so kompliziert erwiesen, dass er noch immer nicht eingerichtet war, als die
Krise ausbrach. Nun aber wurden die Bedingungen soweit verschärft, dass es für mich praktisch unmöglich war, an dieser Idee festzuhalten. Zum Konzept des Sozialfonds hatte sich zwischenzeitlich das eines Sanierungsfonds gesellt, mit dem Unternehmen saniert werden sollten; die daraus resultierenden Renditen sollten dann in den Sozialfonds fließen.
    Das alles war nun Makulatur. Dazu kam, dass ich an der Börse selbst große Summen verlor,

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