Wer nichts hat, kann alles geben
wie beim Verkaufen meiner Lose, hätte ich mir vom Gewinn wahrscheinlich noch nicht einmal eine Holzhütte leisten können. In diesem Moment hieß es, nicht den Mut zu verlieren.
Den brauchte ich auch für meine Trennung von Lucie. Unsere Konflikte waren immer häufiger und intensiver geworden, ein gelassener Umgang mit Problemsituationen war die absolute Ausnahme. Wir hatten uns schon mehrere Male vorher getrennt, einmal war sie sogar für ein paar Wochen ausgezogen. Nach unserer Versöhnung wünschte sie sich unsere Hochzeit und Kinder. Ich war zurückhaltender, ließ mich aber auf einen neuen Versuch des Zusammenlebens
ein – doch auch der misslang. Ich spürte instinktiv, dass der Entwicklungsturbo, der bei mir eingesetzt hatte, als ich sie kennengelernt hatte, abgeklungen war. Jetzt hatte ich das klare Gefühl, dass wir einander in unserer Weiterentwicklung behinderten und uns gegenseitig Energie raubten. Als ich ihr sagte, dass ich unsere Beziehung nicht mehr fortsetzen wollte, war sie sehr verletzt.
Für mich war die Trennung aber ein unvermeidbarer Schritt. Hätte ich ihr von Beginn an meine Überzeugung klargemacht, dass jede Beziehung ihr natürliches Ablaufdatum hat, wären die Schmerzen womöglich nicht so groß gewesen. So aber verließ sie das Haus mit dem Gefühl des Scheiterns. Was sie für eine großartige Frau ist, bewies sie allerdings noch einmal kurz vor ihrem Auszug: Ein Fernsehteam kam ins Haus, damit sich die Zuschauer selbst ein Bild davon machen konnten, was sie für 99 Euro gewinnen konnten. Trotz des Trennungsschmerzes sprach Lucie voller Wärme und Zuneigung von meinen Projekten.
Es sollte noch lange dauern, bis ich dahinterkam, was für ein sensibler Kern sich hinter ihrer starken Fassade verbirgt. Ich glaube eigentlich, Menschen relativ schnell einschätzen zu können, wenn ich ihnen in die Augen blicke. Die sind für mich ein Spiegel der Seele. Im Laufe meines Unternehmerlebens musste ich für verschiedene Verkaufsaktionen, die wir für große Lebensmittelketten durchführten, ungefähr fünftausend Menschen einstellen. Da durfte ich ein gewisses
Gefühl trainieren, innerhalb von fünf Minuten zu wissen: Schafft diese Person die Aufgabe, die ich ihr zugedacht habe? Ja oder nein? Wenn es um den Verkauf geht, heißt das: Ist dieser Mensch selbst so begeistert, dass er auch andere begeistern kann? Wer kein Strahlen in den Augen hat, kann das nicht dadurch kaschieren, dass er Sprüche auswendig lernt. Man kann über die Augen sehr viel über einen Menschen erfahren – wenn er es zulässt. Lucies Fassade war für mich aber offenbar undurchschaubar.
Mit noch größerem Elan versuchte ich nach ihrem Auszug, unsere Verlosungsaktion bekanntzumachen. Von den 21 999 Losen war ein halbes Jahr nach dem Start erst rund ein Viertel verkauft. Österreich erwies sich als schlicht zu klein, außerdem hatten wir im Internet offenbar nicht die richtige Klientel erreicht. Nachdem es ohnehin schon einen Vereinssitz von MyMicroCredit e.V. in München gab, war es naheliegend, auch eine Agentur in Deutschland zu beauftragen, um dort MyMicroCredit und die Hausverlosung in die Medien zu bringen.
Hier spielte wieder einmal der Zufall Regie, der mich mit der besten Public-Relations-Agentur in Kontakt brachte, die ich mir wünschen konnte: »modem conclusa«. Eine Agentur von neun Damen, die mit Herz und Seele Projekte antreiben, die ihren ethischen Maßstäben entsprechen. Sie haben fast ausschließlich Kunden aus der Nachhaltigkeitsszene. Ich mag dieses Wort eigentlich nicht, weil sich zu viele dieses Etikett anhaften, ohne es ernst zu meinen. Das gilt aber nicht für
die Frauen um ihre Chefin Andrea Klepsch: Die nehmen sehr ernst, was sie jeden Tag tun, bei ihnen fühlte ich mich richtig aufgehoben.
Aus unserer Zusammenarbeit resultierten einige Kontakte zu den Medien. Unter anderem wurde ich von einer Redakteurin des christlichen Magazins »Chrismon« interviewt, das vielen Tageszeitungen in Deutschland beiliegt. Ihr gegenüber war ich anfangs genauso skeptisch eingestellt wie sie mir gegenüber. Sie stellte mir sehr viele kritische Fragen, die mich dazu brachten, selbst noch intensiver über meinen Weg nachzudenken und über das, was nun vor mir lag.
Zu Weihnachten 2009 saß ich in einem halbleeren Haus und nutzte diese Tage zu einer Art inneren Revision. Ich wusste, dass ich alles in meiner Macht Stehende getan hatte, um für meine Pläne Aufmerksamkeit zu erzeugen, doch wirklich durchschlagend war
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