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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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Mühen gescheut oder sich von der Sorge abhalten lassen, dass die Armen den Kredit nicht würden zurückzahlen können. Yunus dagegen fing einfach an. Heute ist er Nobelpreisträger, und aus der Idee der Grameen Bank ist ein Konglomerat von verschiedenen Organisationen und sozialem Business geworden – mit einer Tochterfirma, die ein riesiges Handynetz betreibt, einem Sozialunternehmen, das gemeinsam mit einem Joghurthersteller die Bangladesher Bevölkerung mit wichtigen Mineralstoffen und Vitaminen versorgt, und vielen anderen mehr.

    Mich fasziniert seine Art zu denken, weil ihr Ziel darin liegt, Probleme zu lösen. Er kehrt damit das Prinzip um, mit dem Unternehmen in der Ersten Welt für gewöhnlich ihre Gewinne einfahren: indem sie Probleme erzeugen.
    Sehr gut lässt sich das an einem Produkt illustrieren, das wir Tag für Tag konsumieren: Wasser. Viele Jahrhunderte lang haben die Menschen, in den Alpen sowieso, aber auch andernorts, Wasser aus Bächen und Quellen getrunken. Irgendwann wurde das Wasser dann kanalisiert und kam aus der Leitung. Alle haben es getrunken, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Bis die Getränkeindustrie merkte, dass man ihre Limonaden nicht zehnliterweise trinken kann, und sie sich nach weiteren Umsatzmöglichkeiten umschaute. Dabei stieß sie auf diese wunderlichen Menschen, die das Wasser aus der Leitung tranken, und überlegte, wie man sich die auch noch als Kunden schnappen konnte.
    In großangelegten Kampagnen wurde deshalb das bislang so häufig wie selbstverständlich getrunkene Leitungswasser schlechtgemacht, indem man behauptete: Es schmeckt furchtbar und zweitens ist es ungesund. Das stimmt zwar nicht, jedenfalls nicht bei uns in Europa, beide Behauptungen sind in zahlreichen Untersuchungen widerlegt worden. Aber die Verunsicherungskampagne hat wunderbar funktioniert, viele Leute trinken Wasser heute nur noch aus der Flasche statt aus der Leitung. Es gibt sogar Wässer, die damit beworben werden, bei Vollmond abgefüllt worden zu sein, und die ein Vermögen kosten. Mir ist das ein
Rätsel, ich käme nirgendwo in Europa auf die Idee, Flaschenwasser zu trinken. Es kostet bis zu 2000-mal mehr als Leitungswasser. Es würde doch auch niemand eine Wurstsemmel kaufen, die 4000 Euro kostet.
    Viele Menschen aber sind so verunsichert, dass sie sich noch mehr verunsichern lassen und gar nicht merken, dass sie sich für blöd verkaufen lassen. Und dann kaufen sie auch blöd.
    Als wir in den Vorbereitungen für unser Mikrokredit-Portal steckten, dachte ich darüber nach, wie ich die Philosophie von Yunus mit meiner eigenen Erfahrung als Unternehmer kombinieren und die Marktmechanismen der westlichen Welt für MyMicroCredit nutzen konnte. Warum sollte keiner von sinnvollen Dingen erfahren, nur weil keine Marktmacht dahintersteckt, die das Ziel hat, noch mehr Geld in die Kassen der Großkonzerne zu spülen? Ich wollte die Informations- und Werbemechanismen für meine eigenen Zwecke einsetzen: Erzähle von dem, was Sinn macht, nicht von dem ganzen Müll, den man sonst vorgesetzt bekommt, und das möglichst spannend. Dass ich nun ein neues Leben führte, bedeutete ja nicht, dass alle Methoden falsch waren, mit denen ich früher gearbeitet hatte. Wenn ich andere Ziele als das der Geldvermehrung an dieselbe Stelle setzte, durfte die Arbeitsweise gern ebenso qualitätsorientiert und zielgerichtet bleiben.
    Ich unterhielt mich mit einem Werbefachmann darüber, wie ich MyMicroCredit möglichst schnell bekanntmachen konnte. Er sagte mir: »Du wohnst doch in Tirol. Geh auf die Europabrücke südlich von Innsbruck
mit einem großen Schild, auf dem steht: Ich springe für MyMicroCredit! Da fahren täglich Tausende von Autos vorbei, deren Fahrer dich alle sehen. Dann werden noch einige Fernsehteams kommen, die halbe Welt wird merken, dass es MyMicroCredit gibt. Du musst dafür nur eins tun: springen!«
    »Okay«, sagte ich, »die Botschaft hab ich verstanden. « Aber es musste noch einen anderen Weg geben, um das, was wir zu erzählen hatten, spannend zu verpacken.
    Dass ich mich von meinem Haus trennen wollte, war bereits beschlossene Sache. Dafür sprachen mehrere Gründe: Nachdem Lucies Tochter Babsi ihr Abitur in den USA gemacht hatte, wollte sie auch dort zum Studium bleiben, auf den 350 Quadratmetern lebten mit meiner Mutter, Lucie und mir nur noch drei Menschen – das erschien mir deutlich überdimensioniert. Außerdem war absehbar, dass mich die Arbeit an und für MyMicroCredit ohnehin so

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