Wer nichts weiß, muss alles glauben (German Edition)
der Abbildung nicht ausgeführt).
Nun sieht dieses Modellgehirn Werner Gruber. Mittelgroß, schwer, braunes Haar. Was wird passieren? Wird es denken: Hoffentlich schreit er nicht gleich wieder Abdula!!! Nein. Sondern alle Neuronen, die Werner Gruber charakterisieren, werden gleichzeitig aktiv sein. Sie werden synchron feuern. Synchronisation ist der Schlüssel zum Verständnis des Gehirns. Diese Neuronen, die nun die Gestalt von Werner Gruber repräsentieren, feuern gleichzeitig. Alle anderen Neuronen schweigen und sind nicht aktiv. Was dann passiert, ist von enormer Bedeutung für unser Denken.
Abb. 5: Wird von unserem Modellgehirn Werner Gruber erkannt, sind die markierten Neuronen gleichzeitig aktiv. Sie blinken gleichzeitig auf. Auch die anderen werden hin und wieder feuern, aber nicht synchron zu den anderen Neuronen.
Wer sich darunter nichts Konkretes vorstellen kann, schaut sich am besten das Daumenkino ab Seite 107 an.
Der kanadische Psychologe Donald O. Hebb erkannte in den 1950er Jahren, dass Neuronen, die gleichzeitig aktiv sind, ihre Verbindungen verstärken. Ein ehemaliger Österreicher, der Neurowissenschaftler Eric Kandel – 1939 von den Nationalsozialisten vertrieben –, erhielt unter anderem für den experimentellen Nachweis dieser Theorie den Nobelpreis. Man kann sagen, alle Neuronen einer Schicht erfahren alles, was auch die anderen Neuronen erfahren. Aber nur wenn mehrere Neuronen gleichzeitig aktiv sind, verstärken sie ihre Verbindung. Warum ist das wichtig?
Abb. 6: Die Verbindungen zwischen den synchron aktiven Neuronen werden verstärkt.
Weil das Gehirn durch die verstärkte Verbindung Muster ergänzen kann. Wenn Werner Gruber nun einen Hut trüge und man seine braunen Haare nicht mehr sehen könnte, wäre zwar das dafür zuständige Neuron eigentlich nicht aktiv, aber die beiden aktiven Neuronen bringen das dritte Neuron dazu, mitzufeuern. Obwohl es keinen Reiz gibt, wird das vollständige Muster hergestellt.
Abb. 7: Auch wenn manche Reize fehlen, werden durch die Synchronisation diese Reize „dazusynchronisiert“. Dadurch kommt es zu einer Vervollständigung des Musters „Werner Gruber“. Unser Modellgehirn erkennt Werner Gruber mit braunen Haaren, auch wenn es keine braunen Haare sieht!
Und jetzt kommt’s: Unser Gehirn kann nur Muster vervollständigen. Mehr kann es nicht, mehr macht es nicht, mehr mag es gar nicht machen. Alles ist ihm ein Muster. Sei es ein Handlungsmuster oder ein grafisches Muster, alles wird vervollständigt.
Was regt uns zum Denken an? Unvollständige Muster beziehungsweise Muster, in die man viel hineininterpretieren kann. Kommt es zu einer Synchronisation, so haben wir einen Gedanken. Ein Gedanke ist ein geometrisches Muster aktiver beziehungsweise synchron aktiver Neuronen. Andere Gedanken bestehen aus anderen Mustern. Ähnliche Gedanken bestehen aus ähnlichen Mustern synchron aktiver Neuronen. Unterschiedliche Muster stellen unterschiedliche Gedanken dar.
Ist das immer so, wenn wir denken? Im Grunde schon, aber im Gehirn kann natürlich auch etwas schiefgehen. Deshalb gibt es zur Sicherheit auch hemmende Neuronen. Die sagen zu den erregenden Neuronen von Zeit zu Zeit: „Nun mal halblang, Freunde, nicht so schnell mit den jungen Pferden, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“ Zumindest sinngemäß. Wäre das nicht so, würden sich mit der Zeit alle anderen erregenden Neuronen „dazusynchronisieren“ – auch die, die nicht zum Muster Werner Gruber gehören. Damit wäre das Muster aber zerstört. Es käme zur Epilepsie.
Abb. 8: Gäbe es keine hemmenden Neuro nen oder sind diese zu wenig aktiv, werden sich mit der Zeit alle Neuronen „dazusyn chronisieren“. Alle Neuronen feuern nun gleichzeitig, sind dann wieder kurz inaktiv, um gleich wieder zu feuern.
Bei einem epileptischen Anfall sind, vereinfacht gesagt, alle Neuronen gleichzeitig aktiv. Weil das sehr unangenehm ist, greifen die hemmenden Neuronen ein. Sie zerstören auch nach einigen Millisekunden das synchrone Muster, damit wieder ein neues entstehen kann.
Wenn Sie wollen, können Sie sich das so vorstellen: Am Strand sitzen zwei Kinder. Eines bildet mit den Förmchen seiner Sandspielsachen immer wieder neue Figuren, ein Auto, einen Fisch, eine Muschel, und das andere macht die Figuren sofort wieder kaputt. Und so leben sie glücklich bis an ihr Ende.
Déjà-vu
Unter einem Déjà-vu versteht man eine Erinnerungstäuschung. Wir
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