Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
Vom Netzwerk:
verschwunden.
    Sherlock lächelte ihren Schwager und Elcott Frasier strahlend an. Er sah noch ganz genauso aus wie vor elf Monaten, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war – groß, einen leichten Bauchansatz und dichte, weiße, wellige Haare, ziemlich attraktiv. Und er hatte dieselben Augen wie sein Sohn – hellblau, leuchtend, leicht schräg stehend. Sie fragte sich, welche Laster er wohl haben mochte, ob er Lily wirklich gern hatte und wollte, dass sie wieder gesund wurde. Doch wieso eigentlich nicht? Lily war seit nunmehr elf Monaten mit seinem Sohn verheiratet. Sie war süß, liebenswert, äußerst talentiert. Aber sie hatte auch ihr einziges Kind verloren und war in ein tiefes Loch aus Kummer und Depression gefallen.
    Sie wusste, dass Elcott sechzig war, aber er sah höchstens wie fünfundfünfzig aus. Er musste in seiner Jugend ein gut aussehender Mann gewesen sein, vielleicht ebenso gut aussehend wie sein einziger Sohn.
    Es gab auch eine Tochter, Tansy. Wie alt war sie noch gleich? Achtundzwanzig? Dreißig? Älter als Lily jedenfalls, dachte Sherlock. Tansy – ein komischer Name, fast ebenso schrullig wie Tennyson. Sie wohnte in Seattle, war dort Inhaberin eines dieser Kaffeehäuser, die sich zuhauf am Pioneer Square drängelten. Von Lily hatte Sherlock erfahren, dass Tansy nicht allzu oft ihr Zuhause in Hemlock Bay aufsuchte.
    Elcott Frasier trat auf Sherlock zu und schüttelte ihr kräftig die Hand. »Mrs. Savich, wie schön Sie zu sehen.« Er wirkte mächtig erfreut. Sie fragte sich, wie erfreut er wohl war, Dillon zu sehen, denn sie wusste, wusste instinktiv, dass Mr. Elcott Frasier nur wenig Respekt für Frauen übrig hatte. Sie sah es in seinen Augen, in seiner ganzen Haltung – herablassend, arrogant.
    »Mr. Frasier«, flötete sie und schenkte ihm ihr patentiertes sonniges Unschuldslächeln. »Ich wünschte nur, wir hätten uns unter anderen, glücklicheren Umständen wieder gesehen.« Sollte er sie ruhig für ein Dummchen halten.
    »Ihr armer Mann, das Ganze nimmt ihn furchtbar mit«, sagte Mr. Frasier. »Nach allem, was passiert ist, kann ich ihm das nicht verdenken.«
    »Natürlich nimmt es ihn mit. Schön dich zu sehen, Tennyson.« Dann trat sie direkt an Lilys Bett. Sanft strich sie ihr das ziemlich fettig gewordene Haar aus der Stirn. Sherlock sah in ihren Augen, welch furchtbare Schmerzen sie litt. Wie steif sie im Bett lag! Sherlock hätte weinen können. »Dillon wird gleich wieder da sein, Lily. Du solltest wirklich nicht so leiden.«
    »Ist ohnehin Zeit, die Dosis wieder ein wenig zu erhöhen«, sagte eine Schwester beim Eintreten, Savich dicht hinter ihr. Niemand sprach ein Wort, als sie die Spritze mit dem Schmerzmittel in Lilys Infusionsflasche injizierte. Sie beugte sich vor, überprüfte Lilys Puls, zog ihr die Decke über die Schultern und richtete sich dann wieder auf. »Es wird gleich besser, Mrs. Frasier. Rufen Sie mich, wenn es wieder zu schlimm werden sollte.«
    Lily schloss die Augen. Nach ein paar Minuten sagte sie leise: »Danke, Dillon. Es war ziemlich schlimm, aber jetzt nicht mehr. Danke.« Dann, ohne ein weiteres Wort, schlief sie ein.
    »Gut«, sagte Savich und winkte alle hinaus. »Gehen wir in den Warteraum. Vorhin, als ich reingesehen habe, war er ganz leer.«
    »Meine Frau und ich sind Ihnen dankbar, dass Sie gekommen sind«, sagte Elcott Frasier. »Tennyson braucht jede Unterstützung, die er bekommen kann. Die letzten sieben Monate waren sehr hart für ihn.«
    »Wissen Sie, ich habe genau dasselbe gedacht«, sagte Savich langsam. »Lilys Unfall gibt uns endlich einen Vorwand herzukommen und uns um Tennyson zu kümmern.«
    »Mein Vater hat das nicht so gemeint, wie’s klang, Dillon«, sagte Tennyson. »Es war eine schwere Zeit – für uns alle.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich fürchte, ich muss gehen. Meine Patienten erwarten mich. Ich komme in zirka vier Stunden noch mal und sehe nach Lily.«
    Er ließ sie bei Elcott Frasier zurück, der eine vorbeilaufende Schwester bat, ihm einen Kaffee zu besorgen. Sie tat es ohne Zögern, denn sie war nicht dumm, erkannte sie doch den Big Boss vom Krankenhausverwaltungsrat. Sherlock hätte ihm am liebsten eins in die Schnauze gehauen.
    Savich beugte sich vor, gab Sherlock einen Kuss und sagte leise: »Beherrsch dich, Weib. Der Mann kriegt schon noch sein Fett weg. Bei mir jedenfalls schrillen sämtliche Alarmglocken. Ich gehe jetzt und werfe mal einen Blick auf diesen Explorer. Du kannst inzwischen

Weitere Kostenlose Bücher