Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
uns missfallen.
Alles Feste verdampfte, und Deng und Gorbatschow mussten beide lernen, dass wirtschaftliche Freiheiten nur den Appetit auf politische vergrößern. Manchmal erblickte Deng in Protestierenden nützliche Verbündete gegen kommunistische Betonköpfe; dann wieder ging er gegen sie vor. Gorbatschow dagegen befürchtete, dass die Anwendung von Gewalt das ganze Regime zum Einsturz bringen könnte. |529| Im Frühjahr 1989 genehmigte er offene Wahlen zum Kongress der Volksdeputierten. Und als bei dessen erster Sitzung der Deputierte Andrej Sacharow vor laufenden Kameras die Abschaffung des Machtmonopols der KPdSU forderte, ließ Gorbatschow zwar die Mikrophone ausschalten, lehnte es aber ab, den Kongress aufzulösen. Stattdessen flog er nach Beijing, wo ihm die Aktivisten der Demokratiebewegung zujubelten.
Deng war nicht amüsiert und rief einen Tag nach Gorbatschows Abreise das Kriegsrecht aus. Bis Anfang Juni 1989 drängten sich eine Million Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Viele von ihnen tanzten und sangen, einige traten in Hungerstreik. Deng brandmarkte sie als »sozialen Abschaum«, als Umstürzler, die eine »dem Westen hörige bürgerliche Republik … errichten« 69 wollten, und schickte die Armee vor. Bilder von zerfetzten Leibern, plattgewalzten Fahrrädern und einem unbekannten Demonstranten, der sich allein einem heranrollenden Panzer entgegenstellte, gingen um die Welt.
In China siegte die Repression, doch Gorbatschow widerstand der Versuchung, es Deng nachzutun, selbst dann, als Ungarn und Polen Mehrparteienwahlen ankündigten. Stattdessen überließ er es den sowjetischen Satellitenstaaten, ihre eigenen Wege zu beschreiten. Vor lauter Erstaunen darüber fiel der frischgebackene polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki bei seiner Amtseinführung in Ohnmacht. Ungarische Soldaten testeten, wie weit sie gehen konnten, und bauten den Stacheldrahtzaun entlang der Grenze zu Österreich ab. Tausende von Ostdeutschen »auf Urlaub« in Ungarn ließen ihre Autos stehen und marschierten zu Fuß über die Grenze in die Freiheit.
Und immer noch rührte Gorbatschow keinen Finger. Als er im Oktober Ostberlin besuchte, wurde er abermals von Menschenmengen umjubelt und zum Bleiben aufgefordert. Einige Wochen darauf tanzten die Ostdeutschen auf der Berliner Mauer und schlugen mit Hämmern und Meißeln Stücke aus ihr heraus. Als niemand auf sie schoss, strömten Tausende nach Westberlin. Das ostdeutsche Regime, verwirrt und unfähig, brach auseinander. In den folgenden Monaten erging es den kommunistischen Diktaturen in ganz Osteuropa ähnlich. Als auch die Nationen, die in der Sowjetunion vereint gewesen waren, ihre Unabhängigkeit erklärten, reagierte Gorbatschow doch einmal mit militärischer Gewalt. Aber auch der »Blutsonntag« in Vilnius konnte den baltischen Freiheitsdrang nicht mehr aufhalten. Ein halbes Jahr später schlug Boris Jelzin, der Präsident der Teilrepublik Russland, einen kommunistischen Putschversuch in Moskau nieder, womit die Sowjetunion faktisch von der Russischen Föderation abgelöst wurde. Gorbatschow blieb als Präsident eines Imperiums zurück, das nicht mehr existierte. Am ersten Weihnachtsfeiertag 1991 beugte er sich dem Druck und unterzeichnete ein Dekret über seine förmliche Auflösung. Das Ende war beinahe zu perfekt: Sein sowjetischer Federhalter versagte, und er musste sich den Stift eines amerikanischen Kameramanns leihen.
Die USA hatten den Krieg des Westens gewonnen.
|530| Ostwind, Westwind
Als die dynastischen Imperien dem totalen Krieg nicht standgehalten hatten und zwischen 1917 und 1922 nahezu völlig verschwunden waren, waren die USA ein sehr widerwilliger Leviathan gewesen, doch als der Kommunismus zwischen 1989 und 1991 zusammenbrach und sich als ebenso überlebtes Regime erwies, standen die Amerikaner bereit, die Lücke zu füllen. Es zeichnete sich eine Welt ab, deren alleinige Supermacht die USA werden würden.
Die alte Sowjetunion implodierte unter der wilden Plünderung ihrer Vermögenswerte. Der Zusammenbruch war nicht so schlimm wie der Bürgerkrieg, der dem Sturz der Romanows gefolgt war, dennoch erlebte Russland, der eigentliche Erbe der UdSSR, in den 90er Jahren einen Einbruch der Produktion um 40 Prozent und der Reallöhne um 45 Prozent. In den 1970er Jahren war der durchschnittliche Sowjetbürger mit 68 gestorben, nur vier Jahre früher als der durchschnittliche Westeuropäer; bis zum Jahr 2000 starb der
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