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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Produkte für westliche Käufer weiter verbilligte.
    Diese Beziehung hat etwas von einer Ehe, in der ein Partner fürs Geldausgeben zuständig ist, der andere fürs Sparen und Investieren, mit dem Erfolg, dass sich keiner der beiden eine Scheidung leisten kann. Hätte China keine Dollars mehr gekauft, wäre Amerikas Währung womöglich zusammengebrochen, und die 800 Milliarden US-Dollar, die China inzwischen hielt, hätten ihren Wert verloren. Hätten umgekehrt die Amerikaner keine chinesischen Produkte mehr gekauft, wäre ihr Lebensstandard gesunken und die günstigen Kreditquellen wären versiegt. Ein amerikanischer Boykott hätte China wohl in ein industrielles Chaos gestürzt, allerdings hätte China sich revanchieren können: Hätte es seine Dollars auf den Markt geworfen, wäre die US-Wirtschaft zusammengebrochen.
    Der Historiker Niall Ferguson und der Wirtschaftswissenschaftler Moritz Schularick tauften dieses aberwitzige Pärchen auf den Namen »Chimerica« 4 – ein chinesisch-amerikanisches Fabelwesen, das zwar enormes Wirtschaftswachstum generierte, zugleich aber ein Traum, aus dem die Welt irgendwann würde aufwachen müssen. Die Amerikaner konnten nicht für alle Zeit chinesisches Geld leihen, um chinesische Produkte zu kaufen. Chimericas Flut billiger Kredite ließ die Preise aller Wertanlagen anschwellen, von Rennpferden bis zu Grundstücken. 2007 begannen die Blasen zu platzen, 2008 gingen die westlichen Volkswirtschaften in den freien Fall über und rissen den Rest der Welt mit sich. 2009 schließlich hatten sich Konsumentenvermögen von 13 Billionen US-Dollar in Luft aufgelöst. Chimerica war pleite.
    Die Regierungen intervenierten prompt, auf keinen Fall sollte sich die Depression der 1930er Jahre wiederholen. Dennoch, die Konsequenzen des Zusammenbruchs von Chimerica waren ungeheuer. Im Osten schnellte die Arbeitslosigkeit nach oben, die Aktienkurse stürzten ab, und Chinas Wirtschaft wuchs 2009 nur noch halb so schnell wie 2007, blieb aber mit einer Wachstumsrate von 6,7 Prozent noch immer deutlich über dem, was westliche Wirtschaften selbst für die besten Jahre erwarten konnten. Beijing musste 586 Milliarden für ein Konjunkturpaket aufbringen, aber das Land verfügte ja auch über die nötigen Reserven.
    Im Westen war der Schaden deutlich größer. Die USA mussten ihr 787 Milliarden US-Dollar schweres Konjunkturprogramm auf den ohnehin schon hohen Schuldenberg draufpacken, und trotzdem schrumpfte die Wirtschaft des Landes auch 2009 nochmals um zwei Prozent. Im Sommer 2009 prognostizierte der Internationale Währungsfonds China für 2010 eine Wachstumsrate von wiederum 8,5 Prozent, den USA gerade mal 1,1 Prozent. 5 Am meisten aber beunruhigte, was das Budget Office des US-Kongresses anzukündigen hatte: Die USA würden die Schulden für das Konjunkturpaket nicht vor 2019 tilgen können, dann aber würden die Leistungsansprüche der alternden Bevölkerung die Wirtschaft noch weiter belasten. 6
    |562| Als sich im April 2009 die Regierungschefs der 20 größten Industriestaaten versammelten, um ihre Abwehrmaßnahmen gegen die Krise zu beschließen, machte ein Witz die Runde: »Nach 1989 [dem Jahr des Tiananmen-Massakers] rettete der Kapitalismus China. Nach 2009 rettet China den Kapitalismus.« 7 Das hatte etwas für sich, eine noch bessere Analogie zu 2009 aber wäre 1918 gewesen. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte niemandem mehr entgehen, wie heftig Macht und Reichtum aus dem bankrotten alten Kerngebiet Europa über den Atlantik in den aufblühenden neuen Kern USA gesogen wurden. Es könnte sich herausstellen, dass 2009 das Jahr war, in dem der Sog über den Pazifik, aus dem bankrotten Amerika ins aufblühende China, ähnlich unüberhörbar wurde. Chimerica könnte sich als bloße Zwischenstation auf dem Weg zur Vorherrschaft des Ostens erweisen.
    Nicht jeder freilich wird dieser Prognose zustimmen. Manche Experten verweisen darauf, dass sich die USA schon einige Male so völlig verwandelt haben wie Scrooge. Zu viele Kritiker hätten die USA in der großen Depression der 1930er abgeschrieben, desgleichen während der Stagflation der 1970er Jahre – nur um beide Male zu erleben, wie die USA wieder auf die Beine kamen, in den 1940er Jahren das NS-Regime zerschlugen und in den 1980er Jahren die UdSSR besiegten. Amerikanische Unternehmer und Wissenschaftler, so die Optimisten, werden sich schon etwas einfallen lassen, und selbst wenn die USA in den 2010er Jahren in eine Krise schlittern sollten,

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