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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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alten Welt.« 3
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 12.1: In Stein gemeißelt?
    Wenn die Werte der gesellschaftlichen Entwicklung in Ost und West mit der gleichen Geschwindigkeit steigen wie im 20. Jahrhundert, wird die Vorherrschaft des Westens 2103 enden.
    Könnte sich der Westen im 21. Jahrhundert nicht wie Scrooge auch neu erfinden und an der Spitze bleiben? Mit diesem letzten Kapitel will ich diese Frage beantworten – und es wird eine ziemlich überraschende Antwort sein.
    Das ganze Buch hindurch habe ich behauptet, die größte Schwäche aller Versuche zu erklären, warum der Westen die Welt regiert, und vorherzusagen, was demnächst geschehen wird, liege darin, dass die Auguren im Allgemeinen eine zu kurze Perspektive wählen. Wenn überhaupt, dann blicken sie bloß ein paar Jahrhunderte zurück, bevor sie uns die geschichtlichen Zeichen deuten – so als hätte Scrooge nur mit dem Geist des Gegenwärtigen gesprochen.
    Wir sollten es Scrooge besser gleichtun, sollten auf die Worte des Geistes des Vergangenen hören. Wir könnten uns auch Asimovs Hari Seldon zum Vorbild nehmen, der Jahrtausende der Geschichte befragte, ehe er in die Zukunft seines galaktischen Imperiums schaute. Wir müssen, wie Scrooge und Seldon, nicht nur herausfinden, wohin aktuelle Trends uns tragen werden, sondern auch, ob diese |560| Trends Kräfte hervortreiben, die ihnen entgegenarbeiten. Wir müssen das Paradox der Entwicklung in Rechnung stellen und die Vorteile der Rückständigkeit erkennen. Und wir müssen nicht nur erfassen, wie die geographischen Bedingungen die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen, sondern auch, wie diese umgekehrt die Bedeutung der geographischen Verhältnisse ändern wird. Und wenn wir all das tun, dann werden wir sehen, dass die Geschichte eine überraschende Wendung bereithält.
    Nach Chimerika
    Wir sind dazu verdammt, in interessanten Zeiten zu leben.
    Ungefähr seit dem Jahr 2000 hat sich eine merkwürdige Beziehung zwischen dem westlichen Entwicklungskern und seiner östlichen Peripherie herausgebildet. In den 1840er Jahren begann die Globalisierung des westlichen Kerngebiets, das seine Macht in jeden Weltwinkel ausdehnte und das zuvor eigenständige östliche Kerngebiet zu einer neuen Peripherie des Westens machte. Die Beziehung zwischen Kerngebiet und Peripherie entwickelte sich zwar in größerem Maßstab, aber doch entlang fast der gleichen Linien, an denen sich solche Verhältnisse während der gesamten Geschichte entwickelt haben: Der Osten nutzte seine billigeren Arbeitskräfte und Rohstoffe, um mit dem reicheren Westen Geschäfte zu machen. Und wie es in den Peripherien häufiger vorkam, fanden einige Völker Vorteile in ihrer Rückständigkeit. Zunächst erfand sich Japan neu und drängte in die von den USA dominierten Märkte. Ihm folgten in den 1960er Jahren mehrere südostasiatische Länder und hatten Erfolg damit. Nach 1978 schließlich setzte sich auch China in Bewegung. Die riesigen armen Bevölkerungen des Ostens und auch die Intelligenz dieser Länder, die westlichen Beobachtern stets als Kräfte der Zurückgebliebenheit erschienen waren, entpuppten sich nun zunehmend als Vorteil. Die industrielle Revolution griff auf den Osten über, östliche Unternehmer bauten Fabriken und verkauften Billigprodukte (besonders in die USA).
    Nichts an diesem Ablauf der Ereignisse war grundlegend neu, und für ein Jahrzehnt oder länger lief alles hervorragend (nur nicht für die westlichen Länder, die mit den ostasiatischen Billigprodukten zu konkurrieren suchten). Ab 1990 jedoch entdeckten die Fabrikanten in China – wie zuvor schon in der Geschichte die Bewohner so vieler Peripherien –, dass es sich auch das reichste Kerngebiet nicht leisten kann, alles zu kaufen, was eine Peripherie potenziell exportieren kann.
    Neu und ungewöhnlich an dieser modernen Ost-West-Beziehung war eigentlich nur die Lösung dieses Problems, wie sie sich ab 2000 abzuzeichnen begann. Obowohl ein Durchschnittsamerikaner etwa das Zehnfache dessen verdiente, was ein Durchschnittschinese mit nach Hause nahm, lieh China den USA und anderen westlichen Ländern Geld, damit deren Bürger weiterhin chinesische Produkte kaufen konnten. China investierte einen Teil seines enormen Währungsüberschusses |561| in Schuldverschreibungen wie etwa amerikanische Treasury Bonds, die auf US-Dollar lauteten. Der Kauf hunderter Milliarden Dollar hielt die chinesische Währung gegenüber dem Dollar künstlich niedrig, was die chinesischen

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